Advanced Stats, Alltimers, Off-Court

Check my Stats!

PER. WS. ORTG. eFG%, TS, DRB%, TOV%. Eine bunte Mischung bestehend aus Buchstabenkolonnen, die mehr oder weniger bedeutungsvolle statistische Messwerkzeuge beschreiben. Wozu benötigt ein NBA-Fan diese Statistiken und wieso berufen sich viele Artikel auf Go-to-Guys darauf? Basketball kann man schließlich selbst beobachten und geeignete Schlüsse ziehen. Oder doch nicht?

Das Eingeständnis der eigenen Unzulänglichkeit

Ja, ich gestehe. Ich habe nicht alle 1230 Regular Season-Spiele in einer normalen NBA-Saison gesehen. Ich konnte die knapp 60.000 Minuten dafür nicht aufbringen. Doch wer hat das schon? Wer hat jedes Spiel gesehen, das lief? Wer hat die Zeit, die Lust und das Interesse, jedes NBA-Spiel zu sehen, das verfügbar ist? Wahrscheinlich niemand. Deshalb verlassen sich viele Fans auf Beatwriter der einzelnen Teams, die meisten aber vor allem auf eines: ihre eigenen Augen. Das ist legitim, schließlich ist es vor allem für das menschliche Hirn einprägsam, wenn Allen Iverson einen irren Drive zum Korb besitzt und dort vollendet oder Vince Carter mit irrwitziger Sprungkraft angeflogen kommt und per Dunking abschließt. Schnell ist der Lieblingsspieler gefunden (und er bleibt dies auch bis zum bitteren Ende), der zudem noch ein hohes Wurfvolumen hat und so auf eine stattliche Punkteausbeute pro Spiel kommt. Wozu werden also Statistiken benötigt, wenn für jeden offensichtlich ist, wie gut ein Spieler ist? Man muss ja nur hinsehen. Müsste man – vor allem so intensiv, dass kein Mensch dies leisten kann.

Anschaulich ist dies an einer exemplarischen Situation im Setplay zu erklären: Wen beobachtet ihr? Zu 95% den Ballhandler und – so es das Auge zulässt – den direkten Gegenspieler. Wen seht ihr demzufolge nicht? 80% der anderen Spieler. Und dies passiert nicht nur in dieser einen Situation, sondern bei nahezu jedem Spielzug. Wie oft wart ihr überrascht, dass ein Spieler plötzlich alleine unterm Korb für den einfachen Dunk stand? Wer hat den Cut gesehen? Und welcher Gegenspieler hat hier geschlafen? Welcher Mitspieler hatte den entscheidenden off-ball-Screen gestellt? Ohne mehrmaliges Sichten ist sowohl das eine als auch das andere nicht zu erkennen. Wer scoutet also jede Possession zwei bis fünf Mal, um zu erkennen, wie die Punkte zustande kamen? Wahrscheinlich am ehesten noch die teameigene Scoutingabteilung, die dem Trainerstab dann die Informationen zur Verfügung stellen. Ein normaler Fan? Sicherlich nicht.

Ein weiteres Beispiel: Durch die selektive Wahrnehmung der NBA bekommt ein Fan nur Ausschnitte vom Spiel eines NBA-Spielers mit. Nehmen wir den relativ konstruierten Fall an, dass ein NBA-Fan schauen will, ob Evan Turner auch in seiner zweiten Saison nicht auf NBA-Star-Niveau agieren kann, wie es von einem zweiten Pick erwartet wird. Er schaut also im März diesen Jahres auf Turner, verfolgt ihn vom 7.-14. März. In dieser Zeit bestreitet Turner vier Spiele, erzielt zwischen 16 und 26 Punkte, in drei von vier Spielen holt er mindestens 9 Rebounds, wirft mindestens 58% aus dem Feld. Der Junge ist ein Star! Vielleicht. Für vier Spiele. Diese Eindrücke bleiben aber haften, der Fan hat sich ein Bild von Turner gemacht. Ohne die Möglichkeit, diese vier Spiele vernünftig einordnen zu können, bleibt dieses Bild präsent, so wie es früher durch Highlighttapes vermittelt wurde.

Deshalb sind alle Analysten auch auf Statistiken angewiesen: Sie können nicht alles selbst gesehen haben – und vor allem sollten sie ihren Augen nicht trauen. Wer kann denn alleine schon ein einziges Spiel verfolgen und nach dem Spiel sagen können, wer am effizientesten gescort hat, wer die prozentual meisten Rebounds geholt hat oder wer das beste Verhältnis zwischen Assists und Turnover vorlegen konnte? Niemand. Doch wozu werden die erweiterten Statistiken überhaupt benötigt?

Spätestens in der Offseason wird oft über die Vergleichbarkeit der Spieler gesprochen. Welcher Spieler würde passen? Welche Attribute kann er einem Team bieten? Was hat er in der abgelaufenen Saison bewiesen? Dabei täuschen die totalen Zahlen zumeist über Leistungen hinweg. Abhilfe schaffen hier erweiterte Statistiken, die darauf abzielen, die Facetten eines Spielers herauszuarbeiten. So zeigt das DRB% an, wer prozentual die meisten Defensiv-Rebounds einsammelt, unabhängig davon, ob ein Spieler 20 oder 40 Minuten auf dem Feld stand. In der letzten Saison war dies Dwight Howard, wenig überraschend. Dass dann aber Marcus Camby, Tim Duncan und Reggie Evans noch vor Reboundmaschine Kevin Love landeten, überrascht schon eher. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Statistiken nur Zahlen ohne Kontext sind.

        
Rk             Player  Season    G   MP DRB DRB%
1       Dwight Howard 2011-12   54 2070 585 33.1
2        Marcus Camby 2011-12   59 1352 373 32.7
3          Tim Duncan 2011-12   58 1634 410 28.2
4        Reggie Evans 2011-12   56  771 171 26.7
5          Kevin Love 2011-12   55 2145 508 26.4
6        Andrew Bynum 2011-12   60 2112 517 26.1
7    DeMarcus Cousins 2011-12   64 1950 438 25.9
8       Kevin Garnett 2011-12   60 1864 428 25.8
9       Udonis Haslem 2011-12   64 1589 353 25.6
10      Carlos Boozer 2011-12   66 1948 450 25.3

Die Grenzen der Zahlen

Denn klar ist auch: Statistiken erklären nicht alles, schon gar nicht in der Defensive. Dafür sind die Scoutingsysteme noch nicht weit genug entwickelt. Um hier statistische Aussagen treffen zu können, muss wirklich jede Sequenz gescoutet und ausgewertet werden. Dies suggeriert zwar eine Seite wie mysynergysports, aber hier werden Verteidigungspositionen nur bewertet, wenn der Verteidiger aktiv eingreift, aufgepostet wird oder einen Perimeterwurf verteidigt. Was ist also mit den Defensivpossessions, in denen sein direkter Gegenspieler nicht wirft? Muss man dort nicht verteidigen? Kann man keine Rotationen verpassen? Bleibt man an einem Screen hängen und es kommt zum Switch, gehört dies nicht zur Verteidigung? Die rhetorischen Fragen sollten deutlich machen, dass man auch bei synergysports nur unzureichende Informationen erhält.

Generell sollte man also jede Statistik hinterfragen, denn jede einzelne hat Schwachstellen. Bei den totalen Zahlen wird zumeist ausgeblendet, wie viele Minuten der Spieler dafür Zeit bekam. Bei normierten Werten ist zu beachten, dass eine Vergleichbarkeit zwischen einem 10 MPG und einem 40 MPG-Spieler nicht gegeben ist, weil es schwieriger ist, eine Wurfquote über ein hohes Volumen von 40 Minuten zu halten, als diese in 10 Minuten zu erreichen. Ohne erschlossen zu haben, wie eine Statistik zu nutzen ist und was sie aussagt (und wichtiger: was nicht), sollte man jedoch nicht wild mit Zahlen um sich werfen, nur um einen Standpunkt zu untermauern, den man durch diese Zahlen vielleicht nicht untermauern kann.

Besonders beliebt ist es, anhand des Defensiv-Ratings die Stärke eines Verteidigers messen zu wollen. Die Statistik verführt dazu, weil sie in einer Zahl ausgegeben wird und damit suggeriert, dass die gesamte Defense abgedeckt wurde. Leider wurde das DRTG als Teamstatistik genutzt (wo es auch sinnvoll eingesetzt werden kann), die nun auf Einzelspieler heruntergebrochen wurde. Was als Erfassung der Team-Defense noch funktioniert, versagt nun für einen ligaweiten Vergleich. Anders ist es nicht zu erklären, dass vom Verteidigungsprimus der abgelaufenen Saison, den Boston Celtics, ausnahmslos alle Spieler besser verteidigen können sollen als vom Schlusslicht, den Charlotte Bobcats. Man muss dazu einfach bedenken, dass die Statistik entsteht, wenn 10 Spieler auf dem Feld sind, nicht nur 2, die sich duellieren. Bessere Defensivspieler können für schlechtere einstehen und die Fehler ausbügeln. Die Statistik verbucht jedoch nur, ob der Angriff des Gegners zum Erfolg führte oder nicht, nicht, wer dafür hauptverantwortlich war.

Wieso greift Go-to-Guys auf die Stats zurück?

Zum einen, weil Statistiken Vergleichbarkeit schaffen können und es nicht nur suggerieren. Wenn man den Statistiken entnehmen kann, dass James Harden 40% aller Spot-Up-Dreier trifft, dann kann man damit berechtigte Rückschlüsse auf eine Facette des Spiels des Beardman ziehen. Zum anderen beruft sich Go-to-Guys vor allem dann auf Statistiken, wenn es um einzelne Facetten eines Spielers geht, bei Einschätzungen zum Gesamtimpact eines Spielers muss man zu viel gewichten, als dass dies mit einer Zahl untermauert werden könnte.
Von Gesamtimpact-Parameter wie dem Player Efficiency Rating ist eigentlich abzuraten, weil eine Zahl niemals den Einfluss eines Spielers auf ein Basketballspiel abbilden kann. Es gibt natürlich extreme Beispiele, die dies untermauern:  Brandan Wright (PER 21,66) ist kein Top 25 Spieler der Liga, auch wenn die Metric Hollingers dies so abbildet. Gleichzeitig ist Nick Collison (PER 12,11) nicht die 235 in der Liga. Das PER misst eben nur Boxscore-Stats und lässt die so genannten Intangibles außen vor. Gerade in der Defensive kann die Statistik kaum etwas abbilden.

Zudem macht bei Rollenspielern eine Sortierung und Bewertung über das PER so gar keinen Sinn. Rollenspieler müssen vor allem in ihren Facetten beleuchtet werden. Wie verteidigen sie? Wie treffen sie den Dreier? Können sie ihre Spezialität gewinnbringend für ein Team einsetzen? Da interessiert es niemanden, welches PER der Spieler vorzuweisen hat. Das berühmteste Beispiel in der neueren Zeit dürften die Collins-Brüder sein, die für ihre sehr gute Post-Defense bekannt waren, aber so gar nichts auf den Statsbogen gezaubert bekamen. Jason Collins sah bei den Atlanta Hawks trotzdem 17 Minuten pro Spiel in den Playoffs und beendete die Postseason mit einem unrühmlichen PER von -2,2.

Es gibt allerdings auch sehr aussagekräftige Statistiken – aber eben nur für einzelne Bereiche des Spiels. Gerade fürs Scoring kann man mit TS%, eFG% und den verschiedenen Shot Locations schon erahnen, wie effizient ein Spieler ist – wenn man es vermag, ihn aufgrund seines Shootingvolumens und der Teamrolle richtig einzuordnen. Wichtig ist hierbei wieder die Vergleichbarkeit der Situationen. Tyson Chandler ist der effizienteste Scorer der NBA mit einem True-Shooting-Wert von 70,8. Das heißt aber eben noch lange nicht, dass er eine offensive Option ist und deshalb Amar’e Stoudemire (TS%  54,1) oder Carmelo Anthony (TS% 52,5) vorgezogen werden sollte. Man muss hierbei einfach das Volumen und die Wurfschwierigkeit beachten, die alle drei Akteure unterscheidet.

                                      
Rk             Player Age  G   MP  TS%
1      Tyson Chandler  29 62 2061 .708
2     Carmelo Anthony  27 55 1876 .525
3    Amare Stoudemire  29 47 1543 .541

Beachtet man aber alle Faktoren, kann man sehr gut mit den Zahlen arbeiten, auch wenn sie keine allgemeinen Aussagen zulassen. „Kevin Durant ist ein besserer Spieler als Carmelo Anthony“ mag eine richtige Aussage für den überwältigenden Teil der NBA-Fans sein, untermauern kann man statistisch aber nur einzelne Facetten des Spiels, woraus sich dann ergeben könnte, dass Durant tatsächlich als besser eingestuft werden kann. „Kevin Durant ist die effizientere Scoringoption“ kann hingegen spielend leicht begründet werden.

We check stats!

Genau aus diesem Grunde benutzen wir Statistiken und legen auch gesteigerten Wert darauf, dass man diese nicht ignoriert. Sie sind – richtig benutzt! – eine solide Grundlage, weil sie objektive Zahlen liefern, die man in einen richtigen Zusammenhang bringen muss, dann aber sehr präzise Schlüsse daraus ziehen kann. Keiner hat alle 1230 Regular Season Spiele gesehen. Keiner meint, einen Spieler alleine aufgrund von Statistiken beurteilen zu können. Dass man aber viele Facetten des Spiels eher durch Zahlen als durch bloßes Betrachten von ausgewählten Spielen besser beschreiben und interpretieren kann, sollte ebenso auf der Hand liegen.

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