Jeder hat wahrscheinlich schon mindestens einmal den Spruch des britischen Premierministers Winston Churchill gehört: “Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe”. Ob Churchill diese Worte wirklich gesagt hat, sei mal dahingestellt. Jedenfalls weist dieser Auspruch auf die zentrale Problematik in der Statistik hin: Inwieweit kann man auf Statistken vertrauen?
Hierbei ist zu betonen, dass eine Zahl als solche im wörtlichen Sinne nicht lügen oder falsch sein kann, zumindest wenn man eine in sich logische Berechnung voraussetzt. Vielmehr ist die Interpretation einer Statistk problematisch. Denn Statistiken können, das weiß jeder, in die Irre führen. Hingegen sind Statistiken bei richtiger Anwendung ein Werkzeug, welches bestimmte Ereignisse nachvollziehbar beschreiben kann und somit sinnvolle Folgerungen möglich macht. Auch der Sport, bei dem es eben um Ereignisse besonderer Art geht, kann sich vor dem nicht verschließen. Und im Gegensatz zu einer Sportart wie Fußball spielen Statistiken beim Basketball eine größere Rolle. Dies hat mehrere Gründe:
Zum einen hat der Basketball den Vorteil, dass diese Sportart in Sachen Ballbesitze sehr gleichmäßig verläuft. Soll heißen: Im Basketball macht ein Team in einem bestimmten Zeitrahmen, der zeitlich fest taxiert ist (maximal 24 Sekunden) einen Angriff. Danach wechselt der Ballbesitz wieder, sei es durch Korberfolg, Fehlwurf mit Folge Defensivrebound oder direkten Ballverlusten. Die Folge davon ist, dass die Anzahl der Ballbesitze (im Englischen “possession” genannt) zweier aufeinander treffender Teams praktisch gleich ist, welche eine (statistische) Vergleichbarkeit erst ermöglicht.
Zum anderen ist die Sportart Basketball weniger vom “Glück” (in Ermangelung eines besseren Wortes) abhängig. Es leuchtet ein, dass sich ein Ball mit den Händen präziser spielen oder eben im Ziel (den Korb) versenken lässt als beispielsweise mit dem Fuß. Auch die Entfernungen spielen natürlich eine größere Rolle. Schön lässt sich dieser Punkt an den Wurfquoten erkennen. In der NBA ist es nichts ungewöhnliches, dass ein Spieler über 45% seiner Würfe oder über 75% seiner Freiwürfe trifft. Die Folge: Allein schon aufgrund der Menge an immer wiederkehrenden Ereignissen (insbesondere der erfolgreichen Angriffe, siehe Punktestand) lässt sich der Basketball statistisch besser in den Griff bekommen.
Die Intention des Artikels
Dieser Artikel soll einen möglichen Weg beschreiben, wie mit der ein oder anderen Statistik umgegangen werden kann. Das setzt logischerweise voraus, dass man sich zunächst klar macht, wie die einzelnen Statistiken funktionieren. Hier können sich erste Probleme ergeben. Schließlich ist auf Anhieb ersichtlich, was eine Statistik wie “Punkte pro Spiel” oder “Rebounds pro Spiel” aussagen soll oder wie sie berechnet wird. Doch im Laufe der Zeit haben die sogenannten “advanced stats” eine immer größere Bedeutung gewonnen, weil sie die Ereignisse, die im Spiel stattfinden, möglicherweise genauer und vergleichbarer (und damit besser) erfassen können.
Beispielsweise ermöglichen Statistiken wie das PER, das Offensiv- und Defensivrating eines Spielers oder Teams oder aber bestimmte Quoten-Berechnungen wie die True Shooting Percentage einen genaueren und differenzierteren Blick auf die Sportart Basketball. Jedenfalls gilt dies, soweit man in der Lage ist, sie richtig zu lesen/interpretieren. Mit diesem Leitfaden möchten wir versuchen, die ein oder andere Unklarheit zu beseitigen. Dabei erheben wir natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Gern können im dazugehörigen Thread in unserem neu eingerichteten Forum spezielle Fragen gestellt werden, falls man im Leitfaden keine Antwort findet.
Aufgrund der Fülle an Informationen ist es zweckmäßig, diesen Artikel in zwei Teile zu splitten. Im ersten Teil soll es um die wichtigsten Team-Statistiken gehen. Im zweiten Teil, der später erscheinen wird, rückt dagegen der einzelne Spieler in den Vordergrund. Es wird also um individuelle Statistiken gehen. Zum Schluss wird eine Übersicht zur Verfügung gestellt, in welcher hilfreiche Internetseiten in Bezug auf Statistiken aufgelistet werden.
Die Team-Statistiken
Im Folgenden geht es also um die sog. “advanced stats” im Teambereich.
1. Das Offensivrating
Das Offensivrating ist eine Statistik, die angibt, wieviele Punkte ein Team pro 100 eigene Ballbesitze erzielt. Damit bildet das Offensivrating die offensive Gesamtstärke eines Teams ab – im Gegensatz zu den reinen “Punkte pro Spiel”-Statistiken, die (leider) immer noch zu häufig genutzt werden, um die Offensivleistungen von Teams einzuschätzen. Der Grund für die beschränkte Aussagekraft der “Punkte pro Spiel” Stats liegt darin, dass bei der Erhebung der Statistik die verschiedenen Geschwindigkeiten von Partien keine Rolle spielen.
Dazu ein Beispiel:
In der Saison 2010/2011 erzielten die Minnesota Timbervolves durchschnittlich 101.1 Punkte pro Spiel, womit sie Rang 10 innerhalb der NBA belegten. Die Portland Trailblazers erzielten nur 96.3 Punkte pro Partie.
Der oberflächliche Betrachter würde jetzt möglicherweise zum Schluss kommen, dass die Wolves offensiv viel besser performt haben als die Blazers. Diese Ansicht lässt jedoch außer Acht, dass beide Teams ganz unterschiedliche Spielgeschwindigkeiten (“Pace” im Englischen) bevorzugen. Während die Wolves versuchen, das Tempo möglichst hoch zu halten (durchschnittlich 96.5 Ballbesitze pro Spiel, Rang 1 in der NBA), halten die Blazers die Pace möglichst niedrig (87.9 Ballbesitze pro Spiel, Rang 30 in der NBA). Es ist leicht nachvollziehbar, dass ein Team, welches mehr Ballbesitze bekommt, auch mehr Punkte erzielt (wobei der Gegner ja auch mehr Ballbesitze bekommt). Doch die absolute Anzahl der Punkte ist noch kein Qualitätsmerkmal für eine gute Offensive. Unterm Strich geht es im Basketball nur darum, mit den eigenen Ballbesitzen mehr Punkte zu erzielen als der Gegner. Manche Teams glauben, dass sie bessere Chancen haben, dies zu schaffen, wenn sie das Tempo hochhalten. Andere Teams profitieren mehr von einem geringeren Tempo (und mehr Halbfeldbasketball).
Wenn man jetzt das Ziel hat, die Offensivleistungen von Teams mit verschiedener Pace zu vergleichen, ist es demnach zweckmäßig, dies anhand einer Normierung der Ballbesitze zu bewerkstelligen. Das Offensivrating tut genau das. So sagt uns das Offensivrating, dass die Wolves im letzten Jahr 104.2 Punkte pro 100 Ballbesitze erzielt haben, womit sie nur Rang 24 belegten. Insofern wird ihre ppg-Platzierung richtigerweise relativiert. Die Blazers dagegen erzielten mit ihrem langsamen Stil 108.8 Punkte pro 100 eigene Ballbesitze. Dieser Wert reicht für Rang 10 innerhalb der NBA. Die Folge: Die Blazers spielten letztes Jahr eine deutlich effizientere Offensive als die Wolves und sollten demnach richtigerweise als offensivstärker gelten.
2. Das Defensivrating
Das Defensivrating ist logischerweise das statistische Gegenstück zum Offensivrating. Das bedeutet, es gibt an, wie viele Punkte ein Team durchschnittlich pro 100 gegnerische Ballbesitze kassiert. Die Herleitung dieser Statistik folgt demselben Weg wie schon das Offensivrating. Eine Statistik, die ausschließlich auf die kassierten Punkte pro Spiel aufbaut, lässt die unterschiedliche Pace außer Acht. Mithin geht es auch hier darum, die kassierten Punkte durch Hinzunahme der Ballbesitze zu normieren, um so eine Vergleichbarkeit herzustellen.
Beispiel:
Die Pistons kassierten in der Saison 2010/2011 100.6 Punkte pro Spiel (Rang 15). Die Pacers kassierten 100.9 Punkte pro Spiel. Jetzt könnte man glauben, dass beide Teams im Ergebnis ähnlich gut in der Defensive sind. Tatsächlich kassierten die Pacers jedoch “nur” 106 kassierte Punkte pro 100 gegnerische Ballbesitze (Rang 12). Dagegen sind es bei den Pistons 111.7 kassierte Punkte pro 100 gegnerische Ballbesitze (Rang 28). Die Pacers agierten mit einem sehr viel höheren Tempo, wodurch die knapp 101 kassierten Punkte pro Spiel eine ganz andere Wirkung entfalteten. Das Defensivrating sagt uns also richtigerweise, dass die Pacers im letzten Jahr eine deutlich bessere Defensive gespielt haben als die Pistons.
3. Four Factors
In meinem Artikel über das Kunstwerk Rebound hatte ich bereits umrissen, um was es sich bei den sogenannten “Four Factors” handelt:
Gemeint sind damit die vier Faktoren, die in der Summe einem Team den Sieg und dem anderen Team die Niederlage bescheren sollen. Statistik-Guru und Basketballfan Dean Oliver hat in seiner Basketball-Statistik-Bibel “Basketball on Paper” nach seinen Analysen nämlich die These aufgestellt, dass es nur vier Faktoren gäbe, die das Spiel entscheiden:
1. Wurfquote,
2. Rebounds holen,
3. Ballverluste begehen,
4. Freiwürfe herausholen und treffen.Jedem einzelnen Faktor kann man logischerweise einen offensiven und defensiven Part zuordnen (eigentlich sind es also acht Faktoren).
Diese vier Faktoren bilden genau die vier verschiedenen Möglichkeiten ab, wie der Ballbesitz eines Teams verloren (bzw. gewonnen) wird.
Im Folgenden wird versucht, diesen vier Faktoren aussagekräftige Statistiken zuzuordnen.
4. Die Effective Field Goal Percentage (eFG%)
Formel: eFG% = (FG + 0.5*3er) / FGA
Häufig wird in der NBA nur anhand der “einfachen” Wurfquote entschieden, welches Team in einer Begegnung besser getroffen hat. Doch dies greift zu kurz. Der Grund ist, dass getroffene Dreipunktewürfe einen Punkt zusätzlich zählen.
Beispiel:
Wenn Team A drei von sechs Würfen trifft (keine 3er dabei) und Team B zwei von sechs trifft (alles 3er), liegt die normale Wurfquote von Team A bei 50%, von Team B 33.3%. Da aber beide Teams mit sechs Würfen sechs Punkte erzielt haben (die beiden Treffer von Team B waren Dreier), haben beide Teams dieselbe Wurfleistung erbracht.
Die eFG% löst dieses Problem anteilsmäßig durch eine höhere Gewichtung der Dreipunktewürfe. Um die reine Wurfleistung eines Teams zu bewerten, sollte daher immer auf die eFG% zurückgegriffen werden. Umgekehrt bietet sich an, die eFG% des Gegners als Indikator zu nutzen, wie effektiv ein Team die Würfe des Gegners verteidigt. Auch hier würde die “normale” gegnerische Wurfquote aufgrund der fehlenden Gewichtung der Dreipunktewürfe zu kurz greifen.
5. Die Reboundratings (DRB% und ORB%)
In meinem besagten Artikel über das Rebounding im Basketball hatte ich herausgearbeitet, dass nicht das Rebounding als “Gesamteinheit” existiert. Vielmehr ist es zweckmäßig, dass zwischen Offensiv- und Defensivrebounding unterschieden wird. Denn ein guter Rebounder am defensiven Brett muss noch lange nicht ein guter Rebounder am offensiven Brett sein. Bei Teams verhält es sich genauso.
In der Erklärung zum Offensivrating wurde darauf aufmerksam gemacht, dass insbesondere aufgrund von unterschiedlichen Spielgeschwindigkeiten eine Normierung unerlässlich ist, um möglichst genau mit Statistiken arbeiten zu können. Bei den Rebounds stellt sich das gleiche Problem. In schnellen Spielen wird mehr geworfen und demzufolge auch mehr gereboundet. Die absolute Reboundanzahl (und daraus resultierend die “Rebounds pro Spiel”-Statistiken) hat insofern nur eine beschränkte Aussagekraft. Dieses Problem wird gelöst, indem die tatsächlichen Rebounds eines Teams und die tatsächlichen Reboundmöglichkeiten ins Verhältnis gesetzt werden.
Formel: DRB% (Team) = 100 * DRB (Team) / (DRB (Team) + ORB (Gegner))
Beispiel:
Schön lässt sich die Zweckmäßigkeit dieser Herangehensweise an den letztjährigen New Orleans Hornets veranschaulichen. Bei den Defensivrebounds pro Spiel belegten die Hornets nämlich nur Rang 19 innerhalb der NBA (30.1 Defensivrebounds pro Spiel). Doch das geringe Spieltempo des Teams wird ausgeblendet, wodurch die Hornets unter Umständen völlig falsch eingeschätzt wurden. Tatsächlich belegte das ehemalige Team von Chris Paul laut der DRB%-Statistik Platz 3, denn sie holten 76.2% aller möglichen Defensivrebounds. Nur zwei Teams waren besser.
Umgekehrt folgt aus der DRB% des einen Teams immer die ORB% des Gegners. Denn es ist klar, dass wenn die Hornets in 76.2% der Fälle den Defensivrebound holen, sich ihre Gegner in 23.8% der Fälle den Offensivrebound schnappen.
6. Die Turnover Percentage (TOV%)
Analog zu der Erklärung bei den Reboundstatistiken wird durch die TOV% versucht, die Fähigkeit eines Teams, Ballverluste zu verhindern, durch ein Verhältnis zu bestimmen. Das Problem der verschiedenen Spielgeschwindigkeit wird umgangen, indem man ausrechnet, in wie viel Prozent der Fälle ein Team in durchschnittlich 100 Plays ein Ballverlust begeht.
Formel: TOV% = 100 * TOV / (FGA + 0.44 * FTA + TOV)
Die Formel sieht auf dem ersten Blick ein wenig kompliziert aus. Der Faktor 100 ist nur dafür da, um am Ende eine “richtige” Prozentzahl herauszubekommen. Die größere Summe im Nenner des nachfolgenden Bruchs (FGA + 0.44 * FTA + TOV) soll die Anzahl der Plays eines Teams abbilden. Im Prinzip wird also nur ein Verhältnis der Turnover (TOV) und der Gesamtplays bebildet.
Logischerweise lässt sich aus den Werten der Gegner eines Teams die Fähigkeit des Teams ableiten, wie gut es darin ist, den Gegner zu Ballverlusten zu provozieren. Ferner lässt sich auch hier aus der Statistik sowohl ein offensiver als auch ein defensiver Part ableiten.
7. Die Free Throw Percentage (FT%)
Analog zu der Erklärung bei den Reboundstatistiken wird durch die FT% versucht, die Fähigkeit eines Teams Freiwürfe heraus zu holen (und zu treffen) durch ein Verhältnis zu berechnen. Hier greift man auf das Verhältnis zwischen getroffenen Freiwürfen und Wurfversuchen zurück.
Formel: FT% = FT / FGA
Diese einfache Formel gibt an, wie gut ein Team darin ist, Freiwürfe heraus zu holen und zu treffen. Umgekehrt kann man in die Formel logischerweise auch die Zahlen der Gegner stecken, um die Fähigkeit eines Teams zu bestimmen, (getroffene) Freiwürfe der Gegner zu verhindern.
In der aktuellen Saisonübersicht von basketball-reference.com lassen sich unter dem Punkt “Miscellaneous Statistics” die Free Throw Percentage und die anderen drei Faktoren wiederfinden. Wer also Lust hat, mal zu schauen, wie gut sein Team bei den jeweiligen Faktoren abschneidet, kann dort nachschauen.
Eine Leseempfehlung
Falls dies alles für einen ambitionierten Leser noch zu oberflächlich behandelt worden ist, wird noch eine besondere Leseempfehlung ausgepsrochen. In der bereits erwähnten Statistik-Bibel “Basketball on Paper” stellt Dean Oliver in englischer Sprache auf über 350 Seiten eine Fülle an statistischen Analysemöglichkeiten für die Sportart Basketball detailliert vor. Das Buch ist sehr schön und verständlich geschrieben, zumindest wenn man bereits eine Affinität zu Zahlen entwickelt hat.
Im nächsten Teil geht es mit den Spielerstatistiken und einer Übersicht von hilfreichen Statistikseiten weiter.