Wie brauchbar ist das Player Efficiency Rating wirklich?
Die erweiterten Statistiken halten so langsam Einzug in die Medienlandschaft und nicht nur die Zahlennerds kennen die wohl bekannteste Advanced-Statistik: das Player Efficiency Rating (PER). Dies liegt auch daran, dass deutsche Magazine wie die FIVE das PER nun seit Jahren nutzen und somit die Metrik John Hollingers auch hierzulande für eine etwas breitere Öffentlichkeit zugänglich machen. Jener John Hollinger wurde zu Beginn des Jahres von den Memphis Grizzlies als Vice President of Basketball Operations verpflichtet und schaffte damit den Sprung vom Journalisten zum Mitglied einer NBA-Franchise. Hollinger erregte in seinem ersten Monat als Verantwortlicher die Aufmerksamkeit der NBA-Fans, als er mit Rudy Gay den Topscorer des Teams aus Tennessee nach Toronto tradete (Go-to-Guys beleuchtete auch den Deal aus Sicht der Pistons). Wie gut ist denn also die berühmteste advanced stat Hollingers? Warum ist sie so beliebt? Was leistet sie und wo stößt sie an ihre Grenzen?
Was genau ist das PER?
Dabei sollte vielleicht zuerst in aller Kürze erklärt werden, wie sich das Player Efficiency Rating zusammensetzt: Das PER ist eine sogenannte Boxscore-Statistik. Hier wird auf die Daten zurückgegriffen, die man aus dem Boxscore entnehmen kann: Feldwürfe, Freiwürfe, Punkte, Rebounds, Assists, Steals, Blocks, Turnover und Fouls werden in einer komplizierten Gleichung gewichtet, dazu wird das PER normiert. Das bedeutet, dass man die Zahlen vergleichbar macht: Man gleicht die unterschiedliche Einsatzzeit der Spieler an, dazu wird die Spielgeschwindigkeit angeglichen. Dadurch entsteht eine einzige Zahl, die sich um den Durchschnittswert 15 dreht. Der Clou: Hiermit ist die Statistik auch so normiert, dass man vergangene Leistungen mit heutigen vergleichen kann. Das PER schafft also eine Vergleichbarkeit von Michael Jordan und LeBron James, wo die Karriereleistungen beider in Beziehung gesetzt werden können.
Insgesamt also eine Statistik, die die Lösung vermeintlich aller NBA-Fragen anbieten kann. Oder?
Die Beliebtheit: Eine Zahl für alles
Hollinger nutzt ein Prinzip, das eine hochkomplexe Formel einfach aussehen lässt: Er fasst seine Berechnungen in eine einzige Zahl zusammen. Diese steht dann für die Effizienz des Spielers in der NBA und lässt sich somit recht einfach mit der Zahl anderer Spieler vergleichen. LeBron James ist der beste Spieler der NBA (momentanes PER: 30,1), knapp vor Kevin Durant (29,1) und Chris Paul (26,1). So sehen sicherlich einige Fans auch die Reihenfolge im MVP-Ranking, zumindest ist man sich aber einig, dass von diesen drei Spielern definitiv einer der wertvollste Spieler der Liga wird. Die Metrik funktioniert also auf den ersten Blick und hält dem Augentest stand. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade diese Metrik sich so durchgesetzt hat. Sie spiegelt vor, dass sie aufgrund der Objektivität der Zahlen eine Basis hat, um sagen zu können, welcher Spieler effizienter ist als andere.
Dieser Schein trügt aber. Das PER hat zwei (größere) Probleme, was die Verwendung erschwert.
Problem 1: Wird überhaupt die Effizienz gemessen?
Das E in PER steht für Efficiency (engl. für Effizienz). Effizienz bedeutet, dass man für eine zu erzielende Leistung so wenig Aufwand wie möglich betreiben muss. Wenn ein NBA-Spieler also 4 Punkte erzielen will, dann wäre die effizienteste Möglichkeit, bei einem Dreipunktewurf gefoult zu werden, sowohl den Dreier als auch den Freiwurf zu treffen. Man hätte 4 Punkte pro Possession erzielt. Im Gegensatz dazu steht die Effektivität (effectiveness): Hier geht es darum, möglichst hohe Werte in bestimmten Kategorien zu erzielen. Ein perfektes Beispiel für einen effektiven, aber ineffizienten Spieler ist Allen Iverson. Iverson führte die Liga im Scoring an, aber brauchte dafür eine Unmenge an Würfen und damit Possessions.
Der effizienteste Scorer der Liga in dieser Saison ist wieder einmal Tyson Chandler, der auf eine True Shooting Percentage von knapp über 70 kommt. Auch im Offensivrating kommt er auf den höchsten Wert. Dazu ist Chandler der fünftbeste Rebounder der Liga (nach TRB%, sofern man Offensiv- und Defensivrebound zusammenfassen kann. Wieso es bei beiden Reboundarten erhebliche Unterschiede gibt, hat Fabian Thewes beschrieben). Das sieht nach einem Spieler aus, der – bis auf die Assists – eigentlich ein sehr effizienter Spieler ist. Wo rangiert Tyson Chandler nun in der Rangliste Hollingers? Immerhin auf Platz 17. Allerdings fragt man sich, wieso Chandler denn nicht ein höheres PER als 20 hat wenn LeBron James gleich mehr als ein Drittel besser ist und auf ein PER von 30 kommt.
Der Schluss ist relativ simpel: Es geht gar nicht um die Effizienz eines Spielers; vielmehr steht hier die Produktivität (also die Effektivität) im Vordergrund. Genauer gesagt: Es geht um die Produktion pro Minute. Das PER ist eben „nur“ eine Boxscore-Statistik. Wenn jemand gut verteidigt (und gutes Verteidigen heißt nicht nur, dass man den Ball erobert, blockt oder reboundet), das Spielfeld breit macht, indem er einen guten Wurf hat (aber nicht oft wirft), dann wirkt sich dies negativ auf das PER aus. Dies ist ja grundsätzlich das Problem bei Boxscore-Statistiken. Beim PER hilft es aber vor allem, wenn man effektiv ist. Bei anderen Statistiken, die wirklich die Effizienz abbilden, ist es egal, wie oft man abschließt. Wenn man innerhalb einer Possession den Angriff nicht abschließt, wird dies nicht negativ ausgelegt. Beim PER ist dies anders: Wichtig ist, dass man in möglichst kurzer Zeit möglichst viel in den Boxscore bringt. Dies ist aber die Definition von Effektivität. An zwei Beispielen kann man dies besonders deutlich machen: Andray Blatche und DeMarcus Cousins. Diese werden ausgewählt, weil sie dieselbe Position wie Tyson Chandler spielen. Zum Vergleich nehmen wir mit Tyson Chandler eben wieder den effizientesten Spieler der NBA:
Tyson Chandler: 68,0 FG%, 70,1 TS%, 19,5 TRB%, 2,7 BLK%, ORtg 138 – PER 20,9
DeMarcus Cousins: 44,4 FG%, 50,6 TS%, 18,1 TRB%, 1,6 BLK%, ORtg 101 – PER 20,2
Andray Blatche: 49,6 FG%, 54,4 TS%, 16,6 TRB%, 2,6 BLK%, ORtg 109 – PER 22,7
In allen relevanten Effizienz-Statistiken führt Tyson Chandler mit (zum Teil gigantischem) Abstand vor Cousins und Blatche. Wie kommt es aber, dass Cousins fast dasselbe PER aufweist und Blatche gar einen großen Vorsprung auf Chandler hat? Wir schauen einmal auf die effektiven Werte:
Tyson Chandler: 32,9 MPG, 11,8 PPG, 11 RPG, 1,0 BPG
DeMarcus Cousins: 31,9 MPG, 17,4 PPG, 10,1 RPG, 0,7 BPG
Andray Blatche: 19,9 MPG, 10,7 PPG, 5,6 RPG, 0,7 BPG
Vielleicht wird hier dann so langsam deutlich, wie das PER arbeitet: Andray Blatche bringt in relativ kurzer Zeit einiges in den Bogen des Anschreibers, Cousins hingegen punktet öfter als Chandler, auch wenn er total ineffizient dabei ist. Das PER belohnt zum einen die hohe Produktion von Boxscore-Statistiken (ein gegriffener Defensivrebound ist wertvoller als den Gegner zu eben diesem Fehlwurf zu zwingen), zum anderen aber auch, dass ein Spieler mit einem hohem Volumen wirft. Für das PER ist es also wertvoller, wenn man mit 14,6 Würfen 17,4 Punkte erzielt als mit 6,5 Würfen 11,6. Das bedeutet hier auch, dass Hollinger es für sinnvoll hält, dass man viel im Spiel wirft – zuvorderst ist dabei die Quote gar nicht so wichtig, hauptsache es passiert häufig und man erzielt damit Punkte.
Es gibt auf Basis der Effizienz keine Argumentationsmöglichkeit, Chandler hinter Blatche zu ranken – oder Cousins auf einer Ebene mit Chandler. Der einzig mögliche Schluss liegt nahe, dass die Statistik gar keine Effizienzstatistik ist und dementsprechend nicht Player Efficiency Rating heißen sollte, sondern eher Player Effectiveness/Effectivity Rating. Treffender wäre wohl aber noch „3PM: Player Production Per Minute“, denn nichts anderes macht Hollinger mit der Statistik.
Dies hat auch seine Berechtigung, allerdings tut die Statistik nicht das, was sie vorgibt zu tun.
Problem 2: Nutzbarkeit für Rollenspieler
Das PER will den Gesamteinfluss eines Spielers abbilden. Um einen besonders guten Wert zu erzielen, muss der Spieler also grundsätzlich ein Allrounder auf dem höchsten Niveau sein. LeBron James ist dafür sicherlich das Vorzeigebeispiel: ein überdurchschnittlicher Passer und Rebounder, ein herausragender Scorer. Problematisch wird es, wenn die Bewertung über die Superstars hinausgehen soll. In einem NBA-Angriff können im Regelfall maximal zwei Spieler nach Hollinger produktiv sein: der Passgeber und der Werfer. In einigen wenigen Fällen wären auch noch offensiv Rebounds möglich. In der Mehrzahl der Angriffe ist es nur ein Spieler, der für das PER produziert, die vier anderen erhalten indirekt negative Bewertungen (weil sie nichts auf den Statsbogen zaubern).
Dabei ist es für einen Großteil der NBA-Spieler die Aufgabe, für Spacing zu sorgen oder Screens zu stellen. Man arbeitet im Basketball in einem Team. Je spezieller die Aufgabe eines Spielers wird, desto weniger kann das PER ihn erfassen. Das beste Beispiel hierfür ist vielleicht Dennis Rodman. Dieser hat über seine Karriere ein leicht unterdurchschnittliches PER von 14,6. Der Einfluss Rodmans war weit höher. Was für Rodman gilt, gilt letztlich für jeden Rollenspieler, der nur Verteidiger (Tony Allen; PER: 11,8), eindimensionaler Dreierschütze (Anthony Morrow; PER: 12,8) oder Screensteller (Kendrick Perkins; PER 8,5) ist.
Mit dem PER kann man also für den Großteil der NBA-Spieler überhaupt kein fundiertes Urteil abgeben, weil das PER alles versucht, in einer Zahl zu vereinigen. Wenn John Hollinger demnächst also erkennen wird, dass er weitere Dreierschützen für sein Team in Memphis benötigt, kann er seine Metrik gar nicht nutzen. Demnach sollte man sich fragen, wofür das PER überhaupt nutzbar ist.
Brauchbarkeit: On-Ball-Superstars
Die größte Stäke des PER ist die Vergleichbarkeit der balldominanten Superstars der letzten 35 Jahre (ab der Saison 77-78 wurde so zuverlässig gescoutet, dass alle Boxscorestats für Hollingers Metrik vorhanden waren; davor fehlten die Angaben zu Steals, Blocks und Turnovern). Eine Top 10 seit der Einführung des Drei-Punktewurfs würde so aussehen: Michael Jordan, LeBron James, Shaquille O’Neal, David Robinson, Dwyane Wade, Chris Paul, Tim Duncan, Charles Barkley, Magic Johnson, Karl Malone.
Die überproportionale Präsenz der momentanen Stars liegt zum einen daran, dass diese auf einem durchgehend hohen Niveau agieren, zum anderen fehlen hier aber auch einfach die Jahre nach der Prime, wo das PER fällt. Betrachten wir nur bereits beendete Karrieren, ergibt sich folgendes Bild:
Michael Jordan, Shaquille O’Neal, David Robinson, Charles Barkley, Magic Johnson, Karl Malone, Hakeem Olajuwon, Larry Bird, (Yao Ming), Julius Erving, Moses Malone.
Das liest sich bis auf Yao Ming (hier fehlt einfach die Zeit nach der Prime, wo der Wert absinkt) wie eine Top 10, die jeder NBA-Fan vertreten könnte, wenn er die Top 10 benennen sollte, die in dieser Zeit das Spiel dominiert hat. Natürlich gäbe es berechtigte Kritik daran, dass Kareem Abdul-Jabbar in der Liste fehlt (insgesamt 14.; aufgrund seiner langen Karriere), man könnte über John Stockton oder Patrick Ewing diskutieren, aber es gibt kaum statistische Ausreißer, wo der NBA-Fan nach Gefühl sagen würde, dass die Metrik Hollingers ein komplett verzerrtes Bild der NBA erstellt.
Tatsächlich ist es so, dass das PER hier einen überzeugenden Job macht, weil diese Spieler alle eine vergleichbare Aufgabe hatten: Ihr jeweiliges Team als erste Option zu Titeln zu führen. Das taten sie vor allem durch Punkte (19,5 von Magic über die Karriere ist der schlechteste Wert), Assists (hier glänzt Magic mit 11,2) und/oder Rebounds (Barkley beendete seine Karriere mit 11,7 im Schnitt). Mindestens zwei Kategorien dominierte der jeweilige Spieler. Aus der Liste stechen somit Michael Jordanund Julius Erving heraus, die als Flügelspieler weder hohe Assistzahlen auflegten noch außerordentliche Rebound-Double-Double-Maschinen waren. Unterschätzt ist beispielsweise das Rebounding bei Larry Bird: durchschnittlich 10 Rebounds pflückte Larry Legend. Etwas, was wohl bei Vielen nicht im Gedächtnis geblieben ist. Bei Jordan und Erving gelten besondere Umstände: Jordan war der Topscorer unter allen Spielern, dazu war er derjenige, der die meisten Steals in den Top 10 sicherte und verhältnismäßig wenige Turnover beging. Dazu kamen für seine Position ordentliche 6 Rebounds und 5 Assists. Erving steht auch nicht umsonst am Ende der Top 10, er war für seine Position aber auch ein sehr guter Shotblocker.
Wenn man das PER für den Vergleich absoluter, balldominanter Superstars nutzen will, ist dies also ein probates Mittel.
Fazit
Das PER hat eine Lobby, die ungerechtfertigt ist. Dabei ist zu bedenken, dass alleine der Versuch, die Effizienz eines Spielers in einer Zahl abzubilden, zwangsläufig scheitern muss. Man kann die Komplexität des Sports nicht in eine Zahl zwängen.
Wichtig ist zudem, dass man mit einer Metrik nur arbeiten sollte, wenn man sich darüber im Klaren ist, wie sie nutzbar gemacht werden kann. Wenn es nicht um balldominante Superstars geht, funktioniert das PER nicht. Für Rollenspieler sollte es niemals genutzt werden, weil dies einer Argumentation nie standhalten wird.
Für die Evaluation eines Spielers müssen einzelne Facetten eines Spielers untersucht werden. Dass die 20-30 besten Spieler der NBA potentielle Franchise Player sind, erschließt sich dem Fan auch ohne das PER. Bei allen anderen Spielern müssen in der Produktivität schon Abstriche gemacht werden (zweite Option; potentiell weniger Abschlüsse); mit abnehmender Rolle wird das PER immer nichtssagender, Spezialisten kann das PER überhaupt nicht angemessen erfassen. Eine Effizienzstatistik ist das PER nicht, auch wenn dies das „E“ im Namen suggerieren will. Für die begrenzten Nutzungsmöglichkeiten sollte dem PER nicht die übergeordnete Aufmerksamkeit geschenkt werden, die die Metrik momentan generiert. Das PER wird seiner Stellung in der (deutschen) Medienlandschaft nicht gerecht.