Die NBA im Jahre 2008
“Contraction” – schon das Wort klingt schmerzhaft, nach Zwang, irgendwie medizinisch; Geburtswehen werden so bezeichnet und eben auch der Prozess, wenn etwas – freiwillig oder nicht – geschrumpft, verkürzt oder sonstwie zusammengestaucht wird, bis es passt. Im speziellen Fall der NBA bezeichnet “contraction” die Verkleinerung der Liga, das Verstoßen von ein paar unproduktiven Kindern aus der Franchise-Familie, die Amputation kränkelnder Glieder, auf dass der Rumpf gesünder weiterlebe.
In der Wirtschaft ist es gang und gäbe, Tochterfirmen und Zweigfilialen zu rationalisieren; es geht um Produktivität, Bilanzausgleich, Gewinnmargen, und die NBA ist nunmal ein profitorientiertes Wirtschaftsunternehmen, wenn auch hübsch in Sportform verpackt. In diesem Sinn ist Kontraktion zwar schmerzhaft, aber sinnvoll; sie stellt das Wohl aller über das Wohl einiger. Trotzdem: Beim Gedankenspiel, die Liga unter Umständen zu verkleinern, wird das Gespräch frostig; Stimmen stocken; es wird gehüstelt, und dann folgt in der Regel der dezente Hinweis, dass die NBA in fast drei Jahrzehnten unter David Stern noch nie eine Franchise verloren habe.
Das Problem: die Wirtschaftlichkeit
Es ist kein Geheimnis, dass in den USA (wie überall auf der Welt) an einigen Orten besser und an anderen schlechter geldverdient werden kann. Monetäre Hochburgen wie New York, Los Angeles und Chicago tragen sportübergreifend mehrere Franchises, die dennoch schwarze Zahlen schreiben, während es in manchen Gegenden schon schwer wird, auch nur ein Subunternehmen profitabel zu erhalten.
Nun sind NBA-Teams jedoch keine isolierten Familienbetriebe, sondern Teil eines komplexen Wirtschaftsverbunds. Das heißt: Wenn es einem Kind (finanziell) schlecht geht, leidet die ganze Sippe darunter. Ziel der Kontraktion würde also sein, diejenigen Franchises zu streichen, die in Sachen TV-Einnahmen, Zuschauerschnitt und Merchandising am wenigsten gewinnbringend sind. Das betrifft seit Jahr und Tag die Niederlassungen in Sacramento, Memphis und New Orleans.
Denkt man sich die fünf größten Problemkinder – neben den drei Genannten wohl noch Charlotte und New Jersey – mal weg, sieht die Bilanz der NBA gar nicht mehr so schlecht aus. Auch das im Zuge des gegenwärtigen Lockouts angestimmte Klagelied, die Liga verliere jährlich Hunderte Millionen Dollar, würde womöglich verklingen oder zumindest bedeutend leiser werden. Wirtschaftsschwache Filialen aufzulösen, ist also durchaus sinnvoll – finanziell gesehen.
Das Ziel: regionale Repräsentation
Es gibt jedoch eine Gegenbewegung, die Diversität predigt und kaum etwas so sehr fürchtet wie Kontraktion; auch Commissioner Stern gehört ihr an. Ein kurzer Blick auf die jüngeren Club-Mitglieder – Miami, Minneapolis, Charlotte, Orlando, später noch Vancouver, Toronto, Memphis, New Orleans, Oklahoma City – zeigt ganz deutlich: Die NBA hat sich flächendeckend über Nordamerika ausgebreitet, und zwar nicht nach finanziellen Gesichtspunkten. Die Liga soll vielmehr in möglichst vielen Regionen der USA (und darüber hinaus) repräsentiert sein.
Trotz einigen Rückschlägen und gescheiterten Franchises ist diese Absicht unverändert. Aktuelle Überlegungen, das eine oder andere Team eventuell umzusiedeln – nicht zuletzt um Kontraktion zu vermeiden –, sehen dafür nicht etwa die Millionenstadt Chicago vor, wo problemlos geldverdient werden kann. (Die bereits dort ansässigen Bulls hatten letzte Saison ligaweit den höchsten Zuschauerschnitt.) Kandidaten sind stattdessen Anaheim, Kansas City, Las Vegas, Pittsburgh – im Vergleich zur Windy City also die reine Provinz.
Fakt ist: Die Möglichkeit, sich in nur vier, fünf Metropolen anzusiedeln und damit garantiert profitabel zu sein, hat seit jeher bestanden; sie wird jedoch dem Anspruch der National Basketball Association nicht gerecht. Die Liga zu verkleinern und womöglich auf ein paar wenige Finanzzentren zu reduzieren, ist das genaue Gegenteil dessen, was die NBA unter David Stern über die letzten Jahrzehnte angestrebt hat.
Das soll sich auch in Zukunft nicht ändern: Pläne für ein Team in Mexiko, Expansion nach Europa – immer größer, immer weiter. Für ein Wirtschaftsimperium, das bereits Stillstand als Rückschritt empfindet, ist ein tatsächlicher Rückgang in Form von Kontraktion seiner Niederlassungen eine unbedingt zu verhindernde Maßnahme, zu der nur dann gegriffen werden wird, wenn der Mutterkonzern selbst ernsthaft in Gefahr gerät, und soweit ist es noch nicht gekommen.
Und die Fans?
Die sportliche Seite, die sich um Finanzen wenig schert, sieht die Dinge aus einer ganz anderen Perspektive. Sie unterscheidet auch nicht zwischen Kontraktion und Umzug, denn so oder so verliert unterm Strich eine bestimmte Stadt ihre Mannschaft.
Für Fans, die ihrem Team – ob nun direkt vor Ort oder über größere Distanz – die Treue halten, kommt das Einstampfen ihrer Franchise natürlich einer Katastrophe gleich. Das Drama um Seattle, das seine Supersonics an Oklahoma City verlor, hat das eindrucksvoll bewiesen. Sogar Vancouver, das nur sechs Jahre in den Genuss von NBA-Basketball kam, hat das deutlich gezeigt.
Selbst der sonst so reservierte David Stern gestand, er bedauere den Abgang seiner Liga aus diesen beiden Städten, die nicht zufällig Kandidaten für neue bzw. umzugsbereite Franchises geblieben sind – Stern macht keine Tür zu, ohne gleichzeitig ein Fenster zu öffnen. Charlotte, das 2004 nur zwei Jahre nach dem Weggang der beliebten Hornets mit den Bobcats ein neugegründetes Team aus der Taufe hob, ist ein gutes Beispiel für diese Praxis.
Sieht man mal von den treuesten Anhängern ab, gehen die Sichtweisen zum Team-Sterben jedoch stark auseinander. Mancher ist strikt dagegen, weil er die NBA so sehr mag, dass sie ihm nicht groß genug sein kann. Er ignoriert die Frage der Wirtschaftlichkeit, sollte aber bedenken, dass das verfügbare Spielermaterial begrenzt ist, eine größere Liga also fast zwangsläufig an Niveau einbüßen würde. Die Gegenpartei steht einer Verkleinerung der Liga sogar freundlich gegenüber, da die Spieler sich auf weniger Teams verteilen würden – mit dementsprechend positiven Auswirkungen auf das Spielniveau.
Kontraktion ist Chefsache
Im Endeffekt werden Fan-Meinungen allerdings erst von Belang sein, wenn sie wirtschaftliche Folgen haben: sobald genügend Leute die NBA boykottieren, auf die Dauerkarte, den League Pass oder den Kauf von Team-Produkten verzichten. Bis dahin wird die Frage der Kontraktion auf einer höheren Ebene entschieden werden: zwischen den Vertretern der Liga, der Franchises und der Städte – als stete Gratwanderung zwischen Wirtschaftlichkeit und Repräsentation.
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