Ein Team, das letztes Jahr nicht willkürlich Spiele verlor, um seine Draftposition zu verbessern, wurde belohnt: Die Hornets gewannen die Draft-Lottery und waren berechtigt, an erster Position zu draften. Plötzlich präsentiert die einst zerbrechliche Franchise der New Orleans Hornets eines der interessantesten Zukunftsmodelle der Liga.
Es soll der Tag des 30. Mai sein, der die Franchise der New Orleans Hornets verändert. An diesem Tag wird die Reihenfolge der diesjährigen NBA Draft ausgelost. Hinter den Hornets liegt eine harte Saison: Man beendete die Spielzeit auf dem letzten Rang der Western Conference, ligaweit weisen lediglich die Franchises aus Charlotte und Washington schlechtere Bilanzen auf. Das Kollektiv aus Louisiana spielt dabei keinen sonderlich schlechten Basketball: Man gibt sich zu keinem Zeitpunkt auf, und jedes Team muss sich anstrengen, um die Hornissen zu schlagen.
Jarrett Jack – Greivis Vazquez
Eric Gordon – Marco Belinelli – Xavier Henry
Trevor Ariza – Al-Farouq Aminu
Jason Smith – Carl Landry – Gustavo Ayon
Emeka Okafor – Chris Kaman
Nichtsdestotrotz blickt der Fan nicht sonderlich zuversichtlich in die Zukunft New Orleans’. Seit dem Abwandern David Wests und Chris Pauls fehlt der Franchise ein Gesicht. Das Kollektiv um Trainer Monty Williams und General Manager Dell Demps zeigt zwar vereinzelt vielversprechende Ansätze, weist in der Breite jedoch nicht ansatzweise die nötige individuelle Klasse auf, um langfristig Chancen auf erfolgreichen Basketball in Lousiana sicherzustellen.
Selbst mit beiden Draftpicks – neben dem eigenen Anrecht auf die Auswahl eines College-Spielers verfügt man noch den Pick der Minnesota Timberwolves, der im Trade um Chris Paul von den Los Angeles Clippers mitgesendet wurde – ist kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen, das die Hornets aus dem Keller der Liga führen könnte. Williams’ Trainergeschick, die hart arbeitenden Rollenspieler sowie die Möglichkeit auf das Auswählen von zwei Rookies in der starken Draftklasse in allen Ehren: mehr als ein Platz im Mittelfeld der Liga erscheint nicht wirklich realistisch. Und jenes Mittelfeld ist für einen finanzschwachen, kleinen Markt wie New Orleans durchaus verhängnisvoll: Man läuft Gefahr zu schlecht für erfolgreichen Basketball, aber zu gut für das Draften vielversprechender Rookies abzuschneiden.
Die Aussicht auf mittel- wie auch langfristigen Erfolg war zu diesem Zeitpunkt miserabel.
Der Tag, der alles veränderte
Und trotzdem, oder gerade deswegen, war das Glück am Tag des 30. Mais auf Seiten der New Orleans Hornets. Völlig unverhofft gewinnt man die Lotterie und besitzt fortan das Privileg, an erster Stelle auswählen zu können, was in diesem Draftjahrgang eine Art Hauptgewinn darstellt. Denn der erste Pick sichert automatisch den Kentucky Wildcats-Center Anthony Davis, dem eine glorreiche Zukunft vorhergesagt wird und der der talentierteste Spieler der Draftklasse erscheint.
Zuvor, im April 2012, findet sich zudem ein Käufer für die unattraktive und finanziell gebeutelte Franchise. Tom Benson ist Multimilliardär, Unternehmer und Lokalpatriot. Sein Aufkaufen der Hornissen hat zur Folge, dass die Franchise in ihren Personalentscheidungen erneut selbstständig entscheiden kann und nicht mehr als Marionette der Ligaführung agieren muss.
Folgerichtig dauert es nicht lange, bis die ersten Skeptiker aus ihren Ecken kriechen und der NBA Wettbewerbsverzerrung unterstellen. David Stern hätte, so ihre Argumentation, das größte Interesse daran gehabt, die Franchise aus New Orleans künstlich aufzubauen. Die Vergabe des ersten Picks an die Hornissen würde einen perfiden Plan verfolgen: Nicht das schlechteste Team der abgelaufenen regulären Saison, die Charlotte Bobcats, erhalten den besten Spieler, sondern die Franchise, deren Personalentscheidungen bis zum Finden eines Finanzmoguls und Käufers von David Stern und der NBA gelenkt wurden. Was letzten Sommer beim Trade von Chris Paul begann (damals wurde der Trade mit den Houston Rockets und Los Angeles Lakers, der New Orleans im Gegenzug für den Superstar Luis Scola, Kevin Martin, Goran Dragic und Lamar Odom zusicherte, als regelwidrig erklärt; stattdessen einigte man sich auf das Tauschgeschäft mit den Los Angeles Clippers, die Eric Gordon, Al-Farouq Aminu, Chris Kaman und den angesprochenen Pick Minnesotas nach New Orleans sendeten), würde mit dem Gewinn der Lottery fortgeführt werden, so die sinngemäße Argumentationskette vieler Zweifler.
In Wirklichkeit erscheint es jungenhaft und blauäugig von Schiebung und Konspiration auszugehen. Einem Medienevent wie der Auslosung der Lottery wohnen eine Vielzahl von Medienvertretern und Abgesandten der Franchises bei, und hier darauf zu spekulieren, dass die NBA die große Verschwörung durchsetzen will, ist mehr als fragwürdig. Gewiss hatte New Orleans weniger als 20% Wahrscheinlichkeit, den ersten Pick zu ergattern. Aber selbst das schlechteste Team der abgelaufenen Regular Season, die Bobcats, konnte nicht damit rechnen, der sichere Gewinner zu sein (25% Wahrscheinlichkeit). Seit 2004 war kein einziger Gewinner der Lottery auch das wirklich schlechteste Team der Liga. Conspiracy?
Und überhaupt: Es ist extrem müßig für eine Verschwörungstheorie zu argumentieren. Denn man findet immer Gründe, weshalb die Liga eine Franchise auf Teufel-komm-raus begünstigen soll. Gewinnen die Sacramento Kings die Lottery, sind es die Kontakte der Maloof-Brüder. Gewinnen die Charlotte Bobcats die Lottery, ist es der Einfluss Michael Jordans. Gehen wiederum die Cleveland Cavaliers aus der Lottery als Sieger, so ist es ein Wiedergutmachungspräsent für den Abgang LeBron James’ seitens der Ligaführung.
Selbst wenn sich also die Liga gewiss über den Aufkauf der Hornets durch Tom Benson gefreut haben sollte, ist es unsinnig hinter dem Gewinn der Draftlotterie eine Verschwörung zu sehen.
Der Spieler, der alles verändern soll
Die Zukunftsperspektive für New Orleans war jedoch fortan eine andere. Mit Anthony Davis hatte man eine Art Lotto-Jackpot gewonnen, da waren sich die Fans New Orleans’ sicher. Ein Franchise-Spieler und -Changer. Jemand, der in der Lage war, das Anlitz der noch vor kurzem so uninteressanten Hornissen über Jahre zu verändern.
Nahm man zum Center Davis noch die Tatsache hinzu, dass der zehnte Pick ebenfalls sinnvoll genutzt werden kann, gewann man schnell den Eindruck, dass sich in der Stadt an der Bourbon Street etwas Interessantes entwickeln kann.
Mit Verlaub sei gesagt, dass der vierte, dritte oder gar zweite Pick in der diesjährigen Draft eine völlig andere Ausgangssituation bedeutet hätte. Denn ohne die Qualitäten Anthony Davis’ überhöhen zu wollen, die Klasse Michael Kidd-Gilchrists (harter Arbeiter, potentieller Glue Guy), Andre Drummonds (großes Talent, jedoch zweifelhafter Charakter, großes Risiko) oder Thomas Robinsons (fertiger Spieler, wenig Verbesserungspotential) waren schlichtweg nicht vergleichbar mit dem, was man sich fortan von Anthony Davis erhoffen sollte.
Es war also bereits früh sicher, dass die Hornets sich mit dem ersten Pick für die belächelte Monobraune Davis entscheiden würden. Schon lange Zeit vor der Draft begann die Suche nach adäquaten Vergleichen für den außergewöhnlichen Center: Ohne großartig ausgereifte Scoringqualitäten zu haben, war dieser in der Lage, das Spiel zu dominieren wie kaum ein Spieler zuvor am College: Davis gilt als ein ausgezeichneter Rebounder und grandioser Verteidiger, der als Präsenz in der Zone ein Ausnahmetalent für das Timing beim Blocken von Schüssen besitzt, den Ball verteilen kann und nebenbei immer wieder Ansätze eines weichen Sprungwurfs und flüssigen Offensivbewegungen andeuten lässt.
Interessant erscheint hierbei die Geschichte Davis’: Dieser war seine gesamte Jugend recht klein, spielte an einer unbedeutenden Highschool und war lange Zeit ein Spieler, dessen Qualitäten auf Pick-Up-Games und Freiplatz-Duelle fußten. Man stelle sich vor: Jener Spieler wächst im Alter von nicht ganz 18 Jahren fast 20cm innerhalb eines Kalenderjahres, schafft es an das bekannte Collegeprogramm der Kentucky Wildcats unter Trainerlegende John Calipari und agiert von nun an als Innenspieler. Fügt man seine Qualitäten aus den früheren Jahren als Guard und eine bemerkenswerte erste Saison hinzu, hat man einen nationalen Hype, der seit LeBron James 2003 seines gleichen sucht. Jeder ist sich sicher: Dieser Davis ist das nächste große Ding. Sein Status als erster Pick ist unantastbar. Die Vergleiche erstrecken sich von Vlade Divac und Arvydas Sabonis über eine bessere Version des jungen Marcus Cambys und Kevin Garnett bis hin zu Oscar Robertson und Tim Duncan.
Kleine Schritte
Passend zu der neuen Perspektive des Teams, wurden entsprechende Maßnahmen getroffen, das Gesicht des Teams zu verändern. Am 20. Juni wurden Center Emeka Okafor und Small Forward Trevor Ariza nach Washington getradet, im Gegenzug kam Rashard Lewis’ mehr als 20 Millionen pro Jahr teurer Vertrag nach New Orleans. Dieser Spielertausch garantierte nicht nur etwa neun Millionen weniger Ausgaben im Jahr 2012/2013, sondern auch eine langfristige Perspektive: durch das Entlassen Lewis’ vor dem 01. Juli muss die Franchise lediglich die elf garantierten Millionen seines Restvertrages auszahlen. Nach der Saison läuft Lewis’ Vertrag aus: Die Hornets können ihn von der Gehaltsliste streichen. Das heißt, dass New Orleans nicht nur in diesem Jahr knapp zehn Millionen spart, sondern auch langfristig besser aufgestellt ist, weil Arizas und Okafors Gehälter in der NBA-Saison 2013/2014 nicht mehr den Salary Cap belasten werden.
Mit der Abgabe der beiden Rollenspieler sendet die Franchise auch ein klares Signal an Davis. Man geht den Weg des Umbruchs und setzt dabei nicht mehr auf Bestandteile des alten Gefüges. Ariza und Okafor mögen zwar stets solide Leistungen für die Hornets abgeliefert haben, aber werden nun obsolet. Man braucht keine fertigen Spieler, die einem Contender sehr wohl helfen können, aber für eine Franchise im Umbruch wertlos sind. Der Trade Okafors und Arizas gegen Lewis ist also als eine Weitergabe der Verantwortung. Nicht mehr auf alten Fundamenten soll die Franchise stehen, sondern es sind die zukünftigen Rookies und Neuverpflichtungen, die als Stützpfeiler dienen sollen. Mit dem gesparten Geld hat man zudem die Möglichkeit, einen Maximumsvertrag im kommenden Sommer anzubieten. Ingesamt werden etwa 30 Millionen Gehaltskosten eingespart.
Acht Tage später stand dann schon die Draft vor der Tür: Die Hornets entschieden sich neben Anthony Davis (#01) für Austin Rivers (#10) und Darius Miller (#46).
Eine Auswahl, die Sinn macht
Jarrett Jack – Greivis Vazquez
(Eric Gordon) – Austin Rivers – (Marco Belinelli) – Xavier Henry
Al-Farouq Aminu – Darius Miller
Jason Smith – (Carl Landry) – Gustavo Ayon
Anthony Davis – (Chris Kaman)
Austin Rivers war der an zehnter Position beste Spieler, der noch verfügbar war. Die Hornets suchten dabei fertige Spieler, die dennoch talentiert erschienen. Monty Williams betonte vor der Draft, dass der zehnte Pick für einen Guard, der für sich selbst Würfe kreieren kann und ein ausgereiftes Offensivspiel an den Tag legen kann, benutzt würde. Nachdem Dion Waiters (4. Pick) und Damian Lillard (7. Pick) bereits vergriffen waren und Andre Drummond (9. Pick) nicht ganz zu den Hornets durchrutschte, fiel die Wahl auf Rivers.
Der Guard der Duke Blue Devils wurde dabei schon vor der Draft als heißer Kandidat gehandelt. Als exzellenter Scorer, der in mannigfaltiger Art und Weise Würfe erarbeiten kann, passt er in das Konzept der Hornets. So kann er sowohl Pick-and-Rolls mit Davis laufen als auch durch eigene Penetration dafür sorgen, dass Räume für Mitspieler kreiert werden. Dadurch, dass sein familiärer Background in Person von Doc Rivers bereits Erfahrungen mit dem Umgang mit dem NBA-Alltag besitzt, erhofft man sich eine kurze Anpassungszeit. Was jener Akklimatisierung zu Gute kommen sollte, ist die langjährige Freundschaft Rivers’ mit Davis. Zu guter Letzt musst konstantiert werden, dass Rivers der Spieler der Draft war, der die vielleicht ausgereiftesten individuellen Fähigkeiten besitzt. Sein technisches Spiel ist für sein Alter von 21 Jahren exzellent, Rivers wusste sowohl sich die individuellen Bewegungen des Basketballspiels anzueignen als auch die Verantwortung für sein Team in entscheidenden Phasen zu schultern. Ob er sein Spiel auf das Niveau der NBA übertragen kann, ist gewiss unsicher, für den Zeitpunkt der Draft war seine Auswahl jedenfalls durch und durch einleuchtend.
In der zweiten Runde kam zudem Darius Miller. Miller gewann zusammen mit Davis die NCAA Championship und agierte dabei als Rollenspieler von der Bank. Auch die Entscheidung auf Darius Miller zu setzen, macht bei genauerer Betrachtung Sinn: Man erschafft um Davis herum ein Umwelt, das ihm bereits vertraut ist, und mit dem er bereits Erfolg hatte. Zudem ist Miller eine Absicherung, ein zwar bedingt talentierter Small Forward, ein jedoch relativ weit entwickelter Spieler, der als Back-Up für Al-Farouq Aminu vorgesehen ist. Mit der Rolle als Ergänzungsspieler von der Bank ist er bereits vertraut. Sein Körper ist mit 2,01m Länge und einer Sprungkraft von mehr als 90cm NBA-tauglich und Miller trifft den freien Wurf. Auch die Entscheidungen mit dem 46. Pick auf Miller zu setzen, ist durch und durch verständlich.
Es sollte auch weiterhin ein interessanter Sommer in New Orleans werden.