Sollten die New Orleans Pelicans die Saison abschenken?
Es ist frustrierend, New Orleans-Fan zu sein. Denn es scheint, als wäre diese Franchise verflucht. Jamal Mashburn, Jamaal Magloire, Baron Davis, Peja Stojakovic, David West, Tyson Chandler, Chris Paul – die Liste ehemaliger Hornets-Spieler, die verletzungsbedingt ihr volles Potential nicht abrufen konnten, scheint endlos lang. Und es ist nicht so, dass wir hier von Spielern am Ende der Bank reden. Alle Genannten waren Leistungsträger, auf die die Franchise gebaut hat.
Man erinnere sich beispielsweise zurück an die Saison 2006: Nach einem furiosen Sommer, in dem unter anderem Peja Stojakovic und Tyson Chandler an die Bourbon Street geholt wurden, nahm das Unglück seinen Lauf. West, Paul, Chandler und Stojakovic zogen sich Verletzungen zu und verpassten 126 Spiele. Das Team schnitt mit 39-43 nur durchschnittlich ab, verpasste die Postseason.
Was bisher geschah
Beim Beobachten der New Orleans Pelicans 2013/2014 kommt man nicht daran vorbei, Parallelen zur damaligen Situation zu sehen. Ebenso wie 2006 schürten Neuverpflichtungen im Sommer Hoffnungen innerhalb der Fanbase. Das Team sollte eine neue Richtung nehmen. So tradeten man den eigenen sechsten Pick, Nerlens Noel, zusammen mit dem Erstrundenpick 2014 (mit Top5-Protection) nach Philadelphia. Im Gegenzug erhielt man All Star-Point Guard Jrue Holiday. Tyreke Evans unterschrieb einen 44 Millionen-Vertrag für die nächsten vier Jahre und wurde per Sign-and-Trade für Greivis Vasquez akquiriert. Man wolle jetzt gewinnen, so das Credo hinter den Personalentscheidungen des Sommers. Holiday und Evans sollen mit Power Forward Ryan Anderson und Shooting Guard Eric Gordon die Bausteine sein, die man Franchise Player Anthony Davis an die Seite stellt. Dieses dynamische Quintett, die “Finishing Five”, angelehnt an University of Michigans sagenumworbene “Fab Five” um Jalen Rose und Chris Webber, sollte die Franchise konkurrenzfähig machen.
Zudem waren die personellen Veränderungen, ebenso wie der Neustart der Franchise als Pelicans, ein Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Anthony Davis. Er sei das Gesicht der Franchise. Ebenso wie bei Chris Paul 2006 sollten die Offseason-Entscheidungen der Front Office den Anreiz für Davis darstellen, in zwei Jahren eine erste Extension in New Orleans zu unterschreiben. Man tue alles, was nur möglich ist, um Davis Talent zur Seite zu stellen, so das Signal des General Manager Dell Demps.
Nach nicht mal einer Hälfte der Saison, in der das Team sich bereits mit Verletzungen von Evans, Davis und Anderson herumschlagen musste, aber im Kampf um die Playoffs in der stark besetzten Western Conference blieb, passierte es wieder: Die Verletzungssorgen sollten die Franchise aus New Orleans heimsuchen. Genauer gesagt passierte es im Spiel gegen die Boston Celtics, als Power Forward Ryan Anderson mit Jeff Green kollidierte und sich sich einen Bandscheibenvorfall zuzog. Drei Tage später verkündete die Mannschaft, dass Point Guard Holiday einen Ermüdungsbruch im rechten Schienbein erlitt, und Anderson auf der Inactive Liste Gesellschaft leisten werde. Wiederum drei Tage später verletzte sich Evans am linken Knöchel, einer Stelle, die ihm bereits mehrfach in dieser Saison zu schaffen machte. Zwar konnten die Pelicans in der laufenden Spielzeit phasenweise Ansätze des riesengroßen individuellen Potentials zeigen, aber nicht am Stück gesund bleiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein vollkommen gesundes Pelicans-Team dieses Jahr zu sehen bekommen, ist gering: Anderson wird voraussichtlich den Rest der Saison verpassen, Holiday zumindest einen Monat pausieren.
Wie schlecht das derzeitige Team ist
Das derzeitige Team ist ein regelrechter Witz, über den man aber als Fan nicht so recht lachen will. In Aufbauspieler Brian Roberts (der bis vor drei Jahren in Deutschland spielte), Center Alexis Ajinca (der bis vor drei Wochen in Frankreich spielte) und Small Forward Al-Farouq Aminu (einen offensiv kastrierten Low IQ Small Forward) besitzt man drei Starter, die in jedem anderen Team bestenfalls Bankmaterial wären. Es ist bittersüß ironisch, dass ausgerechnet der Dauerverletzte Eric Gordon in diesem Jahr der gesundeste Spieler in New Orleans ist.
Die letzten Spiele wurden größtenteils verloren. Besonders Anderson fehlt der Mannschaft an allen Ecken und Enden. Da in Person Holidays (respektive Roberts), Gordon und Evans (respektive Rivers) Ballhandler in der Mannschaft stehen, ist Andersons Stretch Four-Skillset unverzichtbar: Er sorgt für Spacing und zieht zumindest einen gegnerischen Big-Man aus der Zone. Im Setplay ist er für die dribbelstarken Guards ein gefundener Pick-and-Pop-Partner, der gerade in HORNS-Plays mit Davis als zweitem Blocksteller seinen größten Wert hat. Im Fastbreak fungiert er als Trailer, der vielen großen Spielern entläuft und so einen hochprozentigen Wurf an der Dreipunktelinie bekommen kann. Diese verwandelt er in dieser Saison mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 41%. Generell erzielen die Hornets mehr als 110 Punkte pro 100 Possessions mit Anderson auf dem Feld; ein Wert, der auf 106 Punkte schrumpft, nimmt Anderson auf der Bank Platz. Spielt Anderson nicht, nehmen die Pelicans weniger als zwölf Dreipunktewürfe pro Spiel (im Vergleich: regulär nehmen sie 23.5 Dreipunktewürfe pro Spiel), und sind damit abgeschlagenes Ligaschlusslicht. Anderson ist auf Grund der Einzigartigkeit seines Skillsets der Spieler, mit dem die Playoff-Ambitionen in New Orleans stehen und fallen. Er ist nicht nur Topscorer der Mannschaft, sondern auch der Spieler, der mit seinen Fähigkeiten seinen Mitspielern das Spiel massiv erleichtert. In Spielen ohne ihn steht die Mannschaft bei 3-11 (Stand: 13.01.2014).
Verschlimmert wird sein Ausfall vom Fehlen Holidays und Evans’. Das derzeitige Spiel der Pelicans ist einseitig und leicht berechenbar. Gordon und Davis sind die einzigen ernstzunehmenden Angriffsoptionen New Orleans’, Spacing ist nicht-existent. So stellen gegnerische Teams einfach die Zone voll, wodurch Davis und Gordon in ihrem Offensivspiel limitiert werden. Schützen hat das Team abseits von Anderson nicht wirklich. Schlechte Mitteldistanzwürfe für limitierte Spieler wie Jason Smith und Brian Roberts sind in der heutigen NBA, in der die offensive Schlagkraft der Mannschaften mit dem Dreipunktewurf steht und fällt, gefundenes Fressen. In der Defense fehlt es an einer Insidepräsenz neben Davis. Die Spieler kennen ihre Rotationen nicht, aber wer will ihnen das verübeln, sieht man wie viel verschiedene Line-Ups New Orleans dieses Jahr auf das Feld schickte?
Man braucht sich nichts vorzumachen: Wir haben es hier mit einem Lottery-Team zu tun. Es gibt drei Teams (Bucks, Magic, Celtics), die ich derzeit vielleicht auf “Augenhöhe” sehe. In den nächsten zehn Partien treffen die Pelicans auf die Spurs, Rockets, Warriors, Grizzlies, Kings, Pistons, Magic, Cavs, Timberwolves und Bulls. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich New Orleans am Ende der zehn Spiele als Bodensatz der Western Conference wiederfindet. Behält man die Bilanz bei, die man bisher ohne Ryan Anderson hat, gewinnt man zehn der ausstehenden 46 Spiele und beendet die Saison mit einer Bilanz von 25-58. Im Durchschnitt ist diese Bilanz die viertschlechteste der NBA. Letztes Jahr gewann das Team 27 Spiele und durfte an 5. Stelle picken. Letztes Jahr war das Team der Pelicans aber auch deutlich besser als das derzeitige Lazarett der Pelicans.
Ob man tanken sollte
Es ist frustrierend, sich das einzugestehen, aber ja. Alles andere macht für den derzeitigen Rumpelhaufen keinen Sinn. Das Team spielt in der wahrscheinlich stärksten Division der NBA. Die Western Conference ist hart umkämpft. Dass man mit dem derzeitigen Kader im Kampf um die Playoff-Plätze bleiben könne, ist illusorisch.
Bin ich in der Position von Head Coach Monty Williams, schenke ich die laufende Spielzeit ab, und schlage vor, das zu machen, was ich “Karma Tanking” nenne. Gib Anthony Davis 40 Minuten und 25 Würfe pro Spiel und lass ihn sich zu einem Superstar entwickeln. Gib Austin Rivers 25 Minuten und lass ihn sich zu einem legitimen NBA-Rotationsspieler entwickeln. Lass Rookie Jeff Whitey und Sophomore Quincy Miller spielen. Versuche die Mannschaft hungrig und ehrgeizig zu halten. Lass Anderson sich einer OP unterziehen. Ziel ist es, dass verletzte Spieler genesen und gesunde Spieler sich verbessern oder zu Trade-Assets werden.
Ich sehe die Chancen, dass man den eigenen Pick behält, bei etwa 50%. Einige Zahlen: Die zwei schlechtesten Bilanzen haben Gewissheit, einen Top5-Pick zu kriegen. Das drittschlechteste Team kann sich zu 96% sicher sein; das viertschlechteste zu 82.6%; das fünftschlechteste zu 55.2%.
Das sechstschlechteste Teams hat nur noch eine Wahrscheinlichkeit von 22%, einen Top5-Pick zu ergattern.
Zusammenfassend kann man also sagen: Schneiden die Pelicans mit einer der fünf schlechtesten Bilanzen in der Liga ab, ist es wahrscheinlich, dass sie ihren Pick behalten. “SORRY FOR JABARI” und “RIGGINS FOR WIGGINS” war nie realer als jetzt.
Die Vorstellung, Joel Embiid, Andrew Wiggins oder Jabari Parker neben Anthony Davis spielen zu sehen? Beängstigend.
Ob man an der Finishing Five festhalten sollte:
Ja, mit einer Ausnahme. Im besten Fall schafft man es Eric Gordon zu traden. Sein Skillset ist obsolet, sind Holiday und Evans fit. Zahlen zeigen dabei, dass Gordons Anwesenheit auf dem Feld keinen positiven Effekt auf Holiday und Evans Leistung hat: Ist Holiday auf dem Feld ohne Gordon, erzielt er 21.25 Punkte, 9 Assists und 2.25 Ballverluste auf 36 Minuten normiert, schießt nahezu 49% aus dem Feld. Seine Anwesenheit auf dem Feld hat auch Einfluss auf die Leistung der Mannschaft, die mit ihm durchschnittlich 7 Punkte mehr als ihr Gegner in 36 Minuten erzielt. Steht Holiday hingegen auf dem Feld MIT Eric Gordon, sinken diese Werte schlagartig: Er erzielt nur noch 14.45 Punkte, 8.5 Assists bei 3.5 Turnovern auf 36 Minuten normiert bei einer Feldwurfquote von 43%. Das Team kommt mit beiden Backcourt-Startern auch lediglich auf einen +/–Wert von +.18. Stehen aber Holiday und Evans OHNE Gordon auf dem Feld, schießt Holiday sogar noch bessere Quoten und das +/- des Teams steigt auf +8.8.
Demletzt wurden Gerüchte laut, nach denen Gordon geshoppt würde. Zach Lowe berichtet, dass er in der Liga durchaus “buy low”-Wert hat, aber sein Vertrag die meisten Manager abschreckt. Im besten Fall schafft man einen Trade mit den Bobcats zu arrangieren, die einen Shooting Guard und Ballhandler suchen, um Point Guard Kemba Walker zu entlasten und Gerald Henderson auf dem Flügel spielen lassen zu können. Im Gegenwert könnten die Bobcats Ben Gordons auslaufenden 13.7-Millionen Vertrag traden.
Was geschehen wird:
Im besten Fall besitzen die Pelicans einen Top5-Pick und 15 Millionen Capspace im Sommer, um den Kaderkern um Davis, Anderson, Holiday und Evans zu ergänzen. Im schlechtesten Fall besitzen sie keinen eigenen Pick und sitzen immer noch auf Eric Gordons 14 Millionen-Vertrag fest.
Sieht man diese Ausgangslage, wird man sich bewusst, dass die Hornets-Zukunft auf einem schmalen Grat zwischen Himmel und Hölle befindet. In diesem Kontext ist der letzte Sommer mit den getätigten Neuverpflichtungen auch nur als Anfang der Kaderentwicklung zu sehen. Man hat individuelles Talent geholt und ein Experiment gestartet, über deren Ausgang sich keiner im Klaren war. Es ist wahrscheinlich, dass die Pelicans im Großteil der Finishing Five auch Zukunftsbausteine sehen, aber es ist ebenso unverkennbar, dass die Erstlingssaison die Schwächen dieser Kaderzusammenstellung offenlegt: zu wenig Spacing, zu viel Abhängigkeit von Ryan Anderson, fehlende Tiefe auf der Small Forward- und Center-Position und die unausgewogene Backcourt-Zusammenstellung mit einer Vielzahl von Ballhandlern, aber nahezu ohne Spot Up-Shooter.
Aber lasst es micht dennoch jinxen: Kommt man zurück zu der Parallele der Hornets 2006, so sieht man, dass in der Folgesaison alle Leistungsträger fit blieben, Chris Paul MVP wurde, das Team 56 Spiele gewann und in den Western Conference Semi Finals den San Antonio Spurs sieben Spiele abzwingen konnte. Und so frustrierend es ist zu sehen, wie beispielsweise die Portland Trail Blazers – ein Small Market-Team, das nicht mehr individuelles Talent als die Pelicans besitzt, aber bisher komplett ohne Verletzungen auskam, und großartig gecoached wird – wie ein Titelanwärter spielen, so bleibt mir als Fan nur zu hoffen, dass sich das viele Verletzungspech letzten Endes als Glück im Unglück entpuppt, und vielleicht nur der Anfang etwas wirklich Großen ist.