Memphis Grizzlies, Playoffs 2015, Portland Trail Blazers

Der Wert eines Freiwurfs

Warum Marc Gasol und die Grizzlies Portland dominieren

Warum Marc Gasol und die Grizzlies Portland dominieren

Sie sind der Grund, warum James Harden trotz schlechter Quoten bei seinen Würfen aus dem Feld ein höchst effizienter Scorer ist. Sie sind der Grund, warum die Liga momentan über Hack-a-XY diskutiert. Sie sind der Grund, warum Philly-Coach Brett Brown ein Jahr lang vor jedem Training und jedem Spiel mit seinem verletzten Big Man Nerlens Noel private Trainingssessions eingelegt hat. Freiwürfe.

Der Gang auf den Strich

Der Freiwurf ist ein elementar wichtiger Bestandteil des Basketballs und womöglich sogar der einfachste Wurf überhaupt. Man steht, ohne Gegenspieler, alleine vor dem Korb und kann in aller Seelenruhe nach eigenem Rhythmus und Tempo den Ball im Ring unterbringen. Man führt eine Bewegung durch, die man bestimmt schon mehrere tausend Male absolviert hat. Der Freiwurf ist eine echte Chance, zu einfachen Punkten zu gelangen.

James Harden wirft „nur“ 44 % aus dem Feld, dennoch liegt sein True Shooting bei über 60 %, sein Offensivrating bei 118 (Anmerkung: Nur Stephen Curry war effizienter bei einer Usage von mehr als 28%.). Die große Kunst im Spiel des Bärtigen ist das Ziehen von Freiwürfen. Wie Dennnis Spillmann dies in einem früheren Artikel schon einmal illustriert hat, führt diese Fähigkeit dazu, dass Harden trotz durchschnittlicher Quoten so ungemein effizient ist. In der abgelaufenen Saison ging er 10,2 mal pro Spiel an die Linie, umgerechnet bedeutet dies eine gigantische Free Throw Attempt Rate von 56%. Außer Jimmy Butler wirft prozentual kein Wing/Ballhandler so oft von der Freiwurflinie.

Des einen Freund, des anderen Feind

Ein immer wichtigeres Kriterium bei der Evaluierung von Big Men, sowohl von jenen, die schon in der NBA sind, als auch College-Spieler, die sich für die Draft anmelden, ist die Fähigkeit, Freiwürfe zu treffen. Viele heute in der NBA erfolgreiche Teams sind defensiv um einen Rim Protector aufgebaut. So auch beispielsweise die Houston Rockets oder die Los Angeles Clippers. Dwight Howard bzw. DeAndre Jordan sind der Fixpunkt ihrer jeweiligen Defense und sollen (!) als Leader und beste Verteidiger ihres Teams die Defensive verankern. Immer öfter aber lässt sich beobachten, dass gegnerische Trainer anfangen, diese Spieler absichtlich zu foulen. Dies führt dazu, dass Howard und Jordan oft an die Freiwurf-Linie müssen. Was für Harden wie ein feuchter Traum klingt, ist für die beiden Bigs ein Alptraum. Bei Trefferquoten von 40 % (DAJ) und 53 % ist jeder Ausflug an die Freiwurflinie ein Risiko. Deshalb müssen ihre Trainer oftmals intervenieren und ihre eigentlichen Defensivanker in der Crunchtime vom Platz nehmen. Wie wertvoll kann ein solcher Verteidigungsspezialist sein, wenn er in der wichtigsten Zeit des Spiels nicht mitwirken kann?

In einem meiner früheren Artikel führte ich bereits aus, dass Philly-Rookie Nerlens Noel aus diesem Grund während seines Redshirt-Jahres fast jeden Tag nur Freiwürfe trainierte. Trainer Brown sah eben jene „Hack-A-Noel“-Gefahr für die Zukunft seines Bigs. Durch die Neumodellierung seines Wurfs sollte Noel zukünftig so gut von der Freiwurflinie treffen können, dass sich das „Hacken“ für Gegner nicht lohnt.

Big Big Man

Fragt man mich nach dem besten Two-Way-Big Man der Liga (gemeint sind klassische Center), so würde ich mich jederzeit für Marc Gasol entscheiden. Der Grizzly hat viele fantastische Fähigkeiten, die auch in dieser Serie gegen die Portland Trail Blazers wieder zu Tage treten:

Er ist der de facto-Playmaker der Bären. Seine hervorragenden Pass-Fähigkeiten werden immer wieder benutzt, um offene Würfe zu kreieren. Gasol findet oft Cutter zum Korb und freie Schützen oder spielt überragende Durchstecker unter den Korb, was manchen Guards nicht gelingt. Sein für einen Big überraschend starkes Ballhandling hilft ihm dabei zudem, bei gegebenem Raum selbst vom High Post aus zum Korb zu ziehen. Wie sehr Gasol in die Offensive involviert ist? In Spiel 1 hatte er die meisten Touches aller Memphis-Spieler (92), nur Lillard hatte mehr (94). Gasol spielte zudem 72 Pässe, im gesamten Spiel die meisten. Ein ähnliches Bild ergibt sich für Spiel 2 und 3, wo er die Grizzlies erneut in Touches (86/90) und alle eingesetzten Spieler in Pässen anführt (68/67). Insgesamt erreicht Gasol in den ersten drei Aufeinandertreffen 5,3 Assists und 1 Secondary Assist per game. Diese Fertigkeit, aus dem High Post als Spielmacher und Passer zu fungieren, ist keine oberste Anforderung an das Profil von Big Men. Aber gerade, wenn die Offense bisweilen leicht einfallslos wird, ist ein vielseitiger Big eine immense Hilfe.

Defensiv so talentierte und beschlagene Spieler wie Gasol sind meistens inselbegabt und oftmals eher Ballast als Hilfe für die Offensive. Die meisten Verteidigungskünstler sind im Angriff auf Abschlüsse direkt am Ring beschränkt (Tyson Chandler, DeAndre Jordan, Robin Lopez etc). Daher zerstören solche Spieler zum Teil das Spacing der Offense, sind aber defensiv trotzdem unverzichtbar. In einem System wie dem der Grizzlies, die zumeist ohne Stretch-Big und mit wenig Schützen auflaufen, ist das Spacing per se schon nicht gegeben. Aber Gott sei Dank haben die Bären Marc Gasol. Der Spanier trifft den Mitteldistanzwurf und die Gegner wissen das. Sie respektieren die offensive Gefahr, die von ihm ausgeht und folgen ihm auch bis zu 20 Fuß vom Korb entfernt. Er sorgt also für Spacing, indem er den gegnerischen Ringbeschützer (hier oft Robin Lopez) aus der Zone zieht.

Seine in meinen Augen größte Stärke (natürlich neben seinem außerordentlichen defensiven Impact) ist seine Fähigkeit, Freiwürfe zu generieren und vor allem auch zu treffen. In der abgelaufenen regulären Saison gab es nur vier Bigs mit einer Free Throw Attempt Rate von mindestens 41% und mindestens vier Freiwurfversuchen pro Spiel. Neben DeMarcus Cousins ist Gasol der einzige, der mit annehmbarer Quote trifft (79,5%). Dies unterstreicht Gasols Alleinstellungsmerkmal in der Liga. Entweder kommen Bigs zu selten an die Linie oder aber sie treffen einfach viel zu schlecht (DAJ, Howard).

Auch in dieser Serie gegen die Blazers ist jene Kompetenz eine der wichtigsten Faktoren. Gasol hat Probleme mit seinem Touch von außen und eine eher schwächere FG% in den bisherigen Spielen (37,5%). Dennoch schafft er es durch seinen häufigen Gang an die Linie, eine effiziente Serie zu spielen (ORtg 110). Nicht überraschend ist dabei, dass sein bestes Spiel jenes war, als er 13 von 14 Freiwürfen traf. Insgesamt nimmt Gasol bislang acht (!!) Freiwürfe pro Spiel. Dies bedeutet also zweierlei: Der Freiwurf schadet seinem Spiel nicht, sodass er im Gegensatz zu anderen Pivoten auch in der Crunchtime auf der Platte bleiben und die Defensive weiterhin verankern kann. Eher das Gegenteil ist der Fall. Ähnlich wie bei Harden kann Gasol einen schwächeren Shooting-Abend durch den Gang an die Linie zu einem effizienten Scoring-Tag werden lassen.

Plan B

Die Freiwürfe sind aber auch für das Team aus Oregon ein wichtiges Thema, wenn auch im negativen Sinne. Wir hatten es bereits im Preview-Podcast angesprochen, dass die Blazers zu wenig Freiwürfe generieren. Ihre Free Throw Attempt Rate (FTAR, 22,5%) ist die schwächste der gesamten Liga. Was in der regulären Saison noch kein Problem darstellte (Top 9 Offense), führt in den Playoffs zu Schwierigkeiten. Der Gegner richtet sich grundsätzlich besser auf das Spiel ein, scoutet Verteidigung und Angriff genauer und richtet so den Fokus auf mögliche Schwächen. Gerade die Grizzlies, das wohl durchschnittlich beste Defensivteam der letzten vier Jahre, kann offensive Sollbruchstellen gnadenlos ausnutzen. Neben der in dieser Serie fehlenden Kreativität im Angriff und den stellenweise eiskalten Schützen der Trail Blazers, verteidigt Memphis einfach exzellent. „Plan A“ der Blazers wird massiv gestört. Ein möglicher Plan B wäre es nun, die Punkte stattdessen an der Freiwurflinie zu sammeln. Dies hätte außerdem den positiven Nebeneffekt, dass die Schützen durch diese kleinen Erfolgserlebnisse Selbstvertrauen tanken und einen Wurfrhythmus entwickeln könnten, der sich eventuell dann positiv auf den Rest der Offensive übertragen könnte. Aber die im Pod geäußerten Befürchtungen, dass Portland eine zu geringe FTAR hat, bewahrheiten sich. In Spiel 1 in Memphis hatten sie offensiv enorme Schwierigkeiten mit Würfen aus dem Feld (33,7 % FG, 30,8 % 3er), kamen aber bis zu Beginn des vierten Viertels nur zwölf mal an die Foullinie (im Vergleich: MEM 25 FTA). Für ein Playoff-Spiel ist diese Zahl ein Armutszeugnis. Insgesamt hatten sie auch dadurch in den ersten beiden Spielen jeweils schwache Offensivratings von nur 88,7 und 97,8. Viel besser sah es dahingehend in Spiel 3 aus, in dem die Blazers eine FTAR von 40,3% auflegten. Jedoch wurden sie dabei von den Grizzlies übertrumpft, die mit einer FTAR von 56% ein ORtg von 124,8 erreichten. Im zweiten Heimspiel in Oregon wurde dann endlich der erste Sieg eingefahren, unter aanderem auch, weil man das Freiwurfduell für sich entscheiden konnte (19 zu 13 Treffer).

Insgesamt bleibt aber zu konstatieren, dass Portland mit den defensiven Adjustments und Matchups der Bären enorme Probleme hat. Sie schaffen es ferner nicht konstant, die fehlende Produktivität an der Linie wettzumachen. In der Summe gibt es zu wenig Freiwürfe, zudem wurden zwei Spiele im Freiwurfduell deutlich verloren. Memphis ist auf das häufige Ziehen von Free Throws dabei gar nicht so sehr angewiesen, da sie im Gegensatz zu Portland über eine exzellente Verteidigung verfügen, mit der sie die Spiele dominieren.

Fazit

Der Freiwurf ist der vielleicht wichtigste Wurf im Basketball. Wie gezeigt sind seine Implikationen bisweilen gigantisch. In den Playoffs ist er ein wichtiges Instrument für Contender, wenn der Rest der eigenen Offense ins Stocken gerät. Aus mittelmäßigen Schützen aus dem Feld kann er effiziente Scorer machen (Harden, Lou Williams, Isaiah Thomas).

Auch in Zukunft wird sich die Rezeption des unscheinbar wirkenden, langweiligen Freiwurfs weiter verändern. Ganz spannend wird dies bei der Evaluierung von College-Big Men sein. Im kommenden Draft gelten Jahlil Okafor, ein mit 19 Jahren bereits wahnsinnig guter Offensivspieler mit zweifelhafter Defense, und Karl-Anthony Towns als aussichtsreichste Kandidaten für den First Pick. Towns soll mittlerweile klar favorisiert sein, obwohl er offensiv wohl nie an das Niveau Okafors heranreichen wird. Grund dafür ist nicht nur seine bessere Defense, sondern vor allem sein Freiwurf.

Okafor: 51 % bei 5,1 Versuchen pro Spiel
Towns: 81,3 % bei 3,4 Versuchen pro Spiel

Bei Okafor beobachtete nicht nur der hauseigene College-Experte Tobias Berger bereits mehrfach, dass er seine dominante Offense gar nicht richtig nutzen kann und viel zu oft passiv wird. Warum? Okafor scheint fast Angst zu haben, gefoult zu werden und dann an die Linie zu müssen. Auch „Hack-A-Okafor“ ist ein potentielles Problem in der NBA. Towns hingegen wird derlei Befürchtungen (Passivität) nie erleben und seinem nächsten Team auch in der kritischen Phase des Spiels zur Verfügung stehen.

Quellen: Basketball-reference.com, nba.com/stats, espn.com

  •  
  •  
  •  
  •  
  •  

Schreibe einen Kommentar