Ohne Frage war die vergangene Saison der Los Angeles Clippers gemessen an den eigenen Ambitionen eine herbe Enttäuschung. Ein Aus in der zweiten Runde gegen die Denver Nuggets war nicht das, was das Team sich erwartet hatte, nachdem sich im letzten Sommer Kawhi Leonard für LA entschieden hatte und man zusätzlich beinahe alle verfügbaren Assets für Paul George getradet hatte. Dementsprechend wenig Flexibilität haben die Clippers jedoch in dieser Offseason, um sich neu auszurichten nach dem Schock in der Orlando-Bubble. Erstes Opfer dieser Alternativlosigkeit war sicherlich Coach Doc Rivers, der trotz seiner guten Reputation in der Liga seinen Stuhl auf der Bank der Clippers räumen musste. Der neue Coach ist bisheriger Lead Assistant Tyronn Lue. Welche Auswirkungen hat das auf das Team und welche anderen Möglichkeiten zur Veränderung haben die Clippers in dieser Offseason?
Zeit zur Panik?
Es stellt sich natürlich die Frage, ob überhaupt große Änderungen am Kader und der Ausrichtung der Franchise notwendig sind, um in der nächsten Saison einen erfolgreicheren Run auf den Titel zu starten. Müssen die Clippers Kawhi und Paul George auftrennen und George für einen anderen Star traden? Ich würde das definitiv verneinen. Nicht umsonst waren die Clippers vor dieser Saison der Favorit vieler Experten auf den Titel, auch wenn das Ergebnis sicherlich nicht das gewünschte war. Die Umstände der diesjährigen Playoffs waren andere als je zuvor oder als sie voraussichtlich in naher Zukunft jemals wieder sein werden. Viele der Spieler der Clippers waren davon sichtlich betroffen. Lou Williams und Montrezl Harrell wirken nach ihren langen Pausen wegen COVID-Infektionen und dem Verlassen der Bubble aus persönlichen Gründen definitiv nicht fit. Paul George sprach mehrfach in Interviews davon, wie sehr die Bubble mental an ihm und anderen Spielern zehren würde.
Das alles kann natürlich keine Ausrede sein, warum man schlussendlich gegen die Nuggets in katastrophaler Weise verloren hat. Schließlich war kaum ein Team zu Beginn der Bubble derartig stark von den Folgen von Krankheiten betroffen wie eben jene Nuggets. Und doch lassen diese Punkte Vorsicht aufkommen bei der Evaluation, wie viel Qualität die Ergebnisse der Bubble für die Prognose zukünftiger Saisons haben. Es scheint daher mehr als logisch, dass sich die Clippers verstärkt auf kleinere Aktionen zur Abrundung des Kaders konzentrieren, an dem Kern der vergangenen Saison jedoch festhalten werden.
Wenig finanzieller Spielraum für Veränderungen
Ein solches Handeln erscheint umso wahrscheinlicher, da die Clippers im Sommer nur über wenig finanziellen Spielraum verfügen und bereits ein großer Teil der Spieler weiterhin unter Vertrag steht. Von den Kernrotationsspielern dieser Saison werden einzig Marcus Morris, Montrezl Harrell, Reggie Jackson und eventuell JaMychal Green, wenn dieser seine Player Option über etwa fünf Millionen nicht zieht, Free Agent. Nach ansprechenden Leistungen in der Regular Season und den Playoffs scheint es durchaus möglich, dass er sein Glück auf dem freien Markt versucht. Die Clippers sollten alles Mögliche tun, um ihn zu halten, solange der Preis nicht zu hoch ist. Ein langjähriger Vertrag zu den Bezügen der Player Option scheint durchaus realistisch. Selbst im Falle dessen, dass man Green und sämtliche anderen Free Agents ziehen lässt, wären die Clippers jedoch nach wie vor über dem fürs nächste Jahr prognostizierten Salary Cap von 109 Millionen.
Salarys der Clippers für das Jahr 2020/21
Es ergibt daher durchaus Sinn, an möglichst vielen der eigenen Spieler festzuhalten, da man für diese über die notwendigen Rechte verfügt, um über den Cap zu gehen. So verfügt man für Marcus Morris als Neuzugang zur Trade Deadline über Early Bird Rights, mit denen man ihm einen Vertrag bis zu einem Startgehalt von 18 Millionen Dollar anbieten kann. Das sollte mehr als ausreichend sein, um den 31-Jährigen zu halten, der nach seinem Trade als Starter eine wichtige Rolle im Team gespielt hat. Ein Vertrag dieser Größenordnung würde die Clippers allerdings über die Luxussteuergrenze von voraussichtlich 132 Millionen Dollar bringen. Die Luxussteuer zu bezahlen sollte für einen Contender mit Steve Ballmer als Owner prinzipiell kein Problem sein, verhindert jedoch, dass die Clippers die volle Mid-Level-Exception nutzen könnten. Nicht wenige Beobachter fragen sich, ob die Clippers nicht dringender einen weiteren Playmaker benötigen als einen Wing wie Morris. Selbst mit der vollen MLE wäre dieser Playmaker jedoch extrem schwierig zu finden. Es erscheint daher deutlich wahrscheinlicher, dass das Team an Morris festhält und versucht, den Mangel an Playmaking auf eine andere Art und Weise zu adressieren.
Deutlich fraglicher ist es hingegen, ob Reggie Jackson nächstes Jahr erneut für das Team aus LA auflaufen wird. Er wurde vom Buyout-Markt geholt, um eben jene zuvor angesprochenen Playmaking-Mängel zu beheben, konnte diese Anforderung jedoch nie wirklich erfüllen. Mit seinen ansonsten soliden Leistungen könnte er sich hingegen einen Teil der MLE eines Teams in der Free Agency erspielt haben. Ob die Clippers, die ihm ohne echte Bird Rights nur wenig mehr als das Minimum bezahlen können, ihre Tax Payer MLE ausgerechnet nutzen wollen, um Jackson zurückzubringen, erscheint unwahrscheinlich. Die Rolle eines weiteren Playmakers im Backcourt könnte die Position sein, in der die Clippers den größten Zwang zur Veränderung sehen
Was passiert mit Lou&Trez?
Diese Rolle wurde in der Vergangenheit von Dauer-“Sixth Man of the Year”-Award-Kandidat Lou Williams ausgefüllt. Als Scorer von der Bench gemeinsam mit seinem kongenialen offensiven Partner Montrezl Harrell konnten die beiden im Pick&Roll die Offense auch am Laufen halten, wenn Leonard und George nicht auf dem Feld stehen. Doc Rivers entschloss sich des Öfteren auch mit diesen beiden Spielern Spiele zu closen anstelle von Patrick Beverley und Ivica Zubac. Und genau an diesem Punkt begannen viele der Probleme mit Lou&Trez. Mit ihren defensiven Schwächen, dem Blick vornehmlich auf dem eigenen Scoring und ihrem imperfekten Spacing sind beide kaum die ideale Ergänzung neben den Superstars auf dem Flügel.

Netrating der Lineups verschiedener Spieler in Kombination mit Kawhi Leonard und Paul George (Stats by cleaningtheglass)
Die Clippers könnten sich daher auf die Suche machen nach einem Backcourt-Upgrade im Austausch für Williams plus weiteren Assets, das eine bessere Ergänzung zu Leonard und George darstellt und so dem Closing-Lineup mehr Sinn verleiht. Die meisten Spieler, die dafür spontan in Frage kommen, verdienen jedoch zu viel (Mike Conley, Chris Paul) als dass die Clippers die Salarys in einem Trade matchen könnten oder sind zu teuer als dass die wenigen verbliebenen Assets des Teams für einen Trade reichen würden (Jrue Holiday, Kyle Lowry). Sollte einer dieser Spieler auf irgendeine Weise für eine Kombination aus Williams, Shamet und Rodney McGruder verfügbar werden, wären die Clippers sicherlich nicht abgeneigt. Ohne eigene tradebare Firstrounder in der Zukunft wirkt ein Trade für einen Spieler eines solchen Kalibers jedoch aussichtslos. Unter Umständen könnten die Clippers bei Spielern, deren Ruf sich eine Stufe unter den zuvor Genannten befindet, fündig werden. So wären Lonzo Ball oder Josh Hart von den New Orleans Pelicans beispielsweise interessante Ergänzungsspieler, die jedoch wieder eigene Schwächen im Spiel mit sich bringen und vermutlich nicht über Patrick Beverley Spiele closen sollten.
Auch in der Free Agency ist ein solcher Spieler nicht wirklich verfügbar. Einzig Fred VanVleet und Goran Dragic entsprechen wirklich dem beschriebenen Anforderungsprofil. Ihr Preis wird jedoch sicherlich die Mittel der Clippers weit übersteigen, selbst wenn sie Marcus Morris ziehen ließen. Es scheint daher schwierig, den perfekt passenden Spieler in dieser Offseason zu finden. Mit Lou Williams in die nächste Saison zu gehen, ihn nur noch mit der Second Unit einzusetzen und eventuell zur Trade Deadline erneut den Markt zu sondieren, ist das wahrscheinlichste Szenario.
Bleibt die Frage offen, was mit seinem Pick&Roll-Partner Montrezl Harrell geschieht. Der 26-Jährige wird im Sommer Unrestricted Free Agent und könnte sich nach seinen schwachen Leistungen in der Bubble in einer schwierigen Situation wiederfinden. Nur wenige Teams verfügen über den nötigen Cap Space für ein Angebot wie das, das der Gewinner des „Sixth Man of the Year“-Awards sicherlich erwartet. Die Clippers verfügen nur über wenige Mittel, ihn zu ersetzen, wenn sie ihn gehen lassen, könnten diese Stelle jedoch als die einzige Möglichkeit betrachten, um größere Veränderungen für die nächste Saison außer dem Coach vorzunehmen. Aus einer rein finanziellen Sicht würde es für die Clippers vermutlich Sinn ergeben, Harrell zu halten und sich zugleich in der Free Agency nach einer dritten, bzw. JaMychal Green als Small Ball Five eingerechnet vierten Option mit anderem Skillset umzusehen. Dass Harrell mit einer solchen Reduktion seiner Rolle einverstanden ist und unter diesen Umständen überhaupt bleiben möchte, ist jedoch eher zweifelhaft.
Da wie beschrieben nur wenige Teams über Cap Space verfügen, bieten sich für Harrell einige Sign&Trade-Szenarien an, die es den Clippers ermöglichen würden, ihren Spieler nicht völlig ohne Gegenwert zu verlieren. Da allerdings nur wenige Teams einen Spieler wie Harrell wirklich in ihrer Rotation gebrauchen könnten und einige davon die Teams wären, die über Cap Space verfügen (Charlotte, Detroit, New York), dürfte der Gegenwert selbst im besten Fall gering ausfallen. Sign&Trades gegen Spieler, die von ihren Teams nicht mehr unbedingt benötigt werden und deren länger laufende Verträge aktuell kein positives, aber auch kein katastrophales Asset darstellen, sind eine interessante Option. Als Beispiele für ein solches Szenario kommen beispielsweise Taurean Prince von den Nets (sollten diese Allen in der Offseason traden und einen Ersatz brauchen) oder Delon Wright von den Dallas Mavericks in den Sinn. Potenziell möglich wäre auch ein doppelter Sign&Trade für einen Spieler, den das andere Team nicht unbedingt halten möchte, der den Clippers jedoch weiterhelfen könnte. Ein Doppel Sign&Trade mit den Mavericks im Austausch gegen Tim Hardaway Jr. könnte den Clippers zum Beispiel weitere Tiefe auf dem Flügel verschaffen. Ein solcher Trade hätte allerdings zur Folge, dass die Clippers hardcapped wären und andere Moves vollziehen müssten, um unter dem Apron zu bleiben. All diese Trade-Szenarien benötigen dazu eine gewisse Menge an Kreativität und sind stark abhängig davon, wie andere Teams in der Liga Harrell nach seinen Leistungen in der Bubble einzustufen. Obwohl das Clippers Front Office diese Gespräche sicherlich führen wird, ist ein positiver Ausgang der Verhandlungen alles andere als eine Gewissheit. So könnte Harrell im nächsten Jahr doch wieder für das Team auflaufen und eventuell ein Trade-Kandidat für die Deadline sein oder sogar ohne Gegenwert in der Free Agency zogen gelassen werden.

Potenzieller Kader der Clippers für die Saison 2020/2021
So oder so sollte das Team in der Free Agency nach einer weiteren Option im Frontcourt suchen. Mein persönlicher Favorit für die Tax Payer MLE wäre Marc Gasol, der mit seinem Playmaking von der Fünf und seiner defensiven Kommunikation dem Team sicherlich guttun würde. Gasols Leistungskurve zeigte zuletzt jedoch stetig nach unten und es machten Gerüchte die Runde, dass er in der nächsten Saison eine Rückkehr in seine Heimat nach Spanien zum FC Barcelona plant. Eine andere interessante Option stellt Gasols Mitspieler der vergangenen Saison Serge Ibaka dar. Der 31-Jährige hat während des vergangenen Playoff-Runs deutlich bessere Leistungen gezeigt als Gasol und könnte mit seiner Kombination aus Shooting und Rimprotection den Clippers ein Element hinzufügen, das diese bisher zweifellos vermisst haben. Nach seiner Performance in der Bubble könnte er jedoch einen Vertrag verlangen, den die Clippers nicht bezahlen können. Es stand bereits das Gerücht eines Doppel-Sign&Trades gegen Harrell im Raum, dessen Fit bei den Raptors ich jedoch stark in Zweifel ziehen würde. Ein dritter Kandidat wäre Ex-Cavalier Tristan Thompson, dessen Skillset jedoch relativ redundant mit dem von Ivica Zubac ist. Dahinter wird die Anzahl wirklich interessanter Free Agents jedoch schnell relativ dünn. Spiele wie der dritte Raptor im Bunde Chris Boucher oder Aron Baynes von den Phoenix Suns wären Möglichkeiten als dritte Option, die jedoch keine wirklich großen Upgrades des Kaders darstellen. Der letztjährige Firstround-Pick der Clipper Mfiondu Kabengele könnte auch seine Chancen erhalten, sofern er nicht als Trade-Asset in der Offseason verwendet wurde. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auch an dieser Stelle die einfachen Wege zur Verbesserung des Kaders nur rar gesät sind. Diese Inflexibilität des Rosters ist vermutlich auch der Hauptgrund, warum Doc Rivers gehen musste, da die Verantwortlichen der Clippers das Gefühl haben müssen, dass diese Stelle der einfachste Platz für eine Veränderung ist.
Was bewirkt der neue Coach?
Wie vor kurzem bekanntgegeben ist Tyronn Lue, der bisher als Lead Assistant der Clippers beschäftigt war, der neue Headcoach des Teams. Dass er einige andere Angebote als Headcoach von Teams in der Liga bekam und so das Team ohne Beförderung verlassen hätte, ist vermutlich ein weiterer Grund für die Trennung von Rivers. Lue hat in Cleveland bewiesen, dass er stardominierte Teams coachen kann und war im Playoff-Run der Cavaliers zu deutlich mehr Adjustments fähig als Rivers es dieses Jahr gezeigt hat. In der Vergangenheit basierte die offensive Philosophie Lues vor allem darin möglichst viel Spacing rund um seiner beiden Stars aufzustellen und diesen dann freie Hand zu lassen. Ein Modell, das sicherlich auch für die Clippers funktionieren kann, der gescheiterten Idee dieser Saison jedoch bedenklich nahe kommt. Es stellt sich die Frage, inwiefern Lue als Lead Assistant nicht ebenfalls für die taktischen Fehler und Gerüchten zufolge schlechte Stimmung innerhalb des Teams verantwortlich gemacht werden muss. Über die genauen internen Zusammenhänge wissen die Verantwortlichen der Clippers besser Bescheid als jeder andere und man muss Lawrence Frank und dem Rest des Front Office daher vertrauen, dass sie Lue am besten bewerten können. Welche Auswirkungen diese Personalie auf die zuvor beschriebenen anderen Aspekte des Kaders hat, lässt sich nur schwer erahnen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass ein Premium auf Shooting gelegt wird und somit für Montrezl Harrell unter Umständen kein Platz mehr im Kader sein könnte.
Der nächste und letzte Anlauf auf den Titel?
Die Los Angeles Clippers stehen in der Offseason vor einer großen Herausforderung. Mit Kawhi Leonard und Paul George in ihrem potenziell letzten Jahr in LA und wenig Flexibilität bei der Kadergestaltung muss sich das Front Office überlegen, wie es den nächsten Run auf einen Titel angehen möchte. Die Zeichen stehen darauf, dass es nur geringe Änderungen am Kader geben wird und stattdessen vor allem taktische Veränderungen durch den neuen Coach zum Ziel führen können. Sicher ist jedoch, dass die Clippers auch in der kommenden Saison wieder zum elitären Kreis der Titelfavoriten gehören werden.