Eigentlich ist es schon bemerkenswert, dass Alen Smailagic überhaupt da ist. Noch vor zwei Jahren spielte er in einer semiprofessionellen Liga in Serbien. Heute ist er Teil der erfolgreichsten Franchise der vergangenen Jahre. Seit die Warriors den Serben durch eine Mischung aus gutem Scouting und Zufall fanden, investierten sie viel in ihn. Sie ließen ihn ein Jahr für ihr Entwicklungsteam in Santa Cruz spielen, schickten für seine Draftrechte Geld sowie zukünftige Zweitrundenpicks nach New Orleans und statteten ihn mit einem teilweise garantierten Vier-Jahres-Vertrag aus. Viele Vorschuss-Lorbeeren für einen Spieler, der bis heute gerade einmal 139 Minuten auf NBA-Parkett stand. Doch wer ist der Mann, für den die Warriors so in Vorkasse gehen?
Als Alen Smailagic im Sommer 2018 in die USA kommt, kennt ihn dort kaum jemand. Er ist noch nicht einmal 18, hat das letzte Jahr in der dritten serbischen Liga verbracht – und steht trotzdem auf dem Wunschzettel des damals amtierenden Champions. Die Warriors suchen nach günstigen Spielern für die Zukunft. Sie müssen es. Die Verträge ihrer Superstars werden in den kommenden Jahren einen großen Teil des Gehaltsbudgets verschlingen. Dazu ist zu diesem Zeitpunkt für die nähere Zukunft nicht mit guten Draftpicks zu rechnen. Der Versuch, trotz allem relevant zu bleiben, führt die Warriors zu Smailagic.
Im Frühsommer 2017 fliegt ein Teil ihrer Scouting-Abteilung nach Europa. Im italienischen Treviso findet das Adidas Eurocamp statt, in dem die Nachwuchstalente des Kontinents auf sich aufmerksam machen wollen. Doch die Scouts des Meisters sind angehalten, sich auch abseits der großen Turniere nach Talenten umzusehen. Bei einem serbischen Jugendspiel fällt ihnen Smailagic ins Auge: Er ist 16 Jahre jung, 1,98 Meter groß und spielt Point Guard. Smiley, wie ihn die Medien später taufen werden, hinterlässt bei den Zuschauern aus Übersee einen bleibenden Eindruck. Von der NBA wagt der junge Alen trotzdem nicht zu träumen. „Wenn mit jemand gesagt hätte ‚Mit 19 spielst du in der NBA‘, ich hätte ihn für verrückt erklärt“, sagt Smailagic später der San Fransisco Chronicle.
Als die Talentsucher der Warriors ein Jahr später wiederkommen, hat der Serbe die Größe eines Centers. Inzwischen ist Smailagic kein Unbekannter mehr. Real Madrid soll interessiert sein. Trotzdem entscheidet er sich für den Weg über die G-League. Weil der Serbe erst im August des kommenden Jahren 19 wird, muss er ein Jahr in der Entwicklungsliga verbringen. Ein durchaus riskantes Vorgehen. „Sie konnten Alen nicht zu sich holen und sich so seine Draft-Rechte sichern“, erklärt Adam Johnson, Freier Journalist mit Fokus auf die G-League, „Ihn ein Jahr vor dem Draft zu sich zu holen und ihn zu präsentieren, war also mit einem gewissen Risiko verbunden.“ Und tatsächlich bekommt man in New Orleans mit, dass die Warriors mehr als nur ein Augen auf den Big Man geworfen haben. Sie draften ihn mit ihrem Zweitrundenpick, kurz bevor die Warriors ihn hätten ziehen. Golden State muss zukünftige Assets nach New Orleans schicken, um Smailagic auch in der NBA an sich zu binden.
Smiley wird für die Warriors zur Wette auf das eigene Entwicklungssystem. Unter anderem an ihm wird sich zeigen, ob dem sechsfachen Meister gelingt, was Franchises wie die Spurs oder Heat in den vergangenen Jahren erfolgreich vorgemacht haben: Spieler am Rande der NBA-Tauglichkeit zu brauchbaren Rollenspielern zu formen. Die Warriors investierten in den vergangenen Jahren viel in ihr Farmteam in Santa Cruz – mit gemischten Ergebnissen: Während sich Damion Lee, Juan Toscano-Anderson, Mycal Mulder oder der zu Miami gewechselte Kendrick Nunn als Erfolge entpuppten, konnten sich Damian Jones und Jacob Evans bisher nicht durchsetzen. Die Coaches in San Francisco und Santa Cruz werden ganze Arbeit leisten müssen, um Smailagic zu einem brauchbaren Rollenspieler zu formen. Von NBA-Tauglichkeit scheint er noch ein ganzes Stück entfernt.
Smailagics erstes Jahr in den Staaten ist sicher kein einfaches. Der junge Serbe braucht Eingewöhnungszeit, die sich vor allem am defensiven Ende des Feldes zeigt. Zu häufig hilft er einen Pass entfernt, lässt gute Werfer offen stehen oder verliert seinen Mann gleich ganz aus den Augen. Er wirkt verloren. Doch schon im ersten Jahr verbessert er sich merklich. Smailagic ist ein akzeptabler Help-Verteidiger, der bei seinen Block-Versuchen gutes Timing unter Beweis stellt. Hier hilft er dem ungünstig positionierten Norvell Jr., ohne dabei einen Pass in die Ecke zuzulassen, und blockt den anschließenden Wurfversuch.
In dieser Situation erzwingt er den Pass in die Ecke, schneidet den Weg zum Korb ab und setzt dann seinen Körper und seine Länge ein, um dem Gegenspieler den Wurfversuch zu erschweren.
Am Perimeter gelingt es ihm immer öfter, auch vor kleineren Gegenspielern zu bleiben und ihre Wurfversuche mit seiner Länge entscheidend zu behindern. Anstatt sich mit Trippelschritten aus der Balance zu bringen, wie er es vor allem zu Beginn seines ersten Jahres öfter tat, lässt Smiley seine Füße inzwischen häufiger über das Parkett gleiten. Das Resultat sind gute Defensiv-Sequenzen wie diese.
Gegen die Guards dieser Liga wirkt er im Eins-gegen-Eins hingegen nicht sonderlich souverän. Simple Moves bringen ihn immer wieder aus der Balance, was in quasi offenen Würfen aus der Mitteldistanz resultiert. Smiley wird sich diesbezüglich verbessern müssen, wenn er gegen die talentierteren Guards der NBA eine Chance haben will.
Auf dem Weg zum Korb lässt sich Smailagic seltener schlagen. Er kann seinen Körper einsetzen, um den Drive der Gegenspieler vom Korb weg zu lenken. Hier resultiert seine gute Verteidigungsarbeit in einem Ballgewinn.
Mit gerade einmal 20 Jahren ist Smailagic in der Post-Verteidigung häufig noch nicht kräftig genug, um tatsächlich etwas ausrichten zu können. Auf G-League-Niveau kommt er zumindest okay mit den meist kleineren Centern zurecht; auf dem nächsten Level dürfte er sich damit jedoch deutlich schwerer tun.
Auch hinter seiner Transition-Verteidigung steht derzeit noch ein Fragezeichen. Vor allem zu Beginn seiner zweiten Saison verlor er seinen Gegenspieler häufig aus den Augen oder postierte sich denkbar ungünstig. Hier verwandelt Bol Bol Smailagics Unaufmerksamkeit per Dunk in zwei einfache Punkte.
Hin und wieder ist Smailagic auch für defensive Highlight-Frequenzen gut. Hier erzwingt er erst durch seine gute Bewegung den schwierigen Wurf, bringt sich dann durch Einsatz zurück in Position und blockt schließlich den folgenden Wurfversuch des Gegenspielers.
Auch Scorer Daxter Miles Jr. blieb vom seiner Defensive nicht verschont. Smiley nimmt ihn an der Mittellinie auf, bleibt selbst im Rückwärtsgang vor ihm und setzt seinen Körper ein, um den Wurfversuch ohne Foul zu behindern.
Es sind diese defensiven Ansätze, die für die Zukunft hoffen lassen. Das Scouting-Portal The Stepien bescheinigte Smailagic vor dem Draft im vergangenen Jahr sogar das Potential, zum besten Big-Man-Verteidiger seines Jahrgangs zu werden. Obwohl diese Prognose nach einem Jahr etwas optimistisch scheint, könnte Smailagic potentiell zumindest zum soliden Defender reifen.
Smailagics Offensive steht und fällt derweil mit seinem Wurf. Er nimmt – gerade auf G-League Niveau – mit Selbstvertrauen Würfe von hinter der Dreierlinie. Seine Quoten geben ihm dabei Recht: Tat er sich in der vergangenen Saison noch schwer (24,4 Prozent bei 1,7 Versuchen pro Spiel), trifft er in diesem Jahr gute 34,6 Prozent seiner 4,7 Versuche von der Dreierlinie. Diese Verbesserung ist bedeutsam, eröffnet sie ihm doch ihm neue Möglichkeiten, sein Spiel aufzuziehen. Werfer leben zu einem gewissen Grad von ihrem Ruf. Smileys Shooting scheint schon jetzt als Gefahr im gegnerischen Scouting-Bericht zu stehen. Mit seinen Shotfakes bekam er selbst in seinen limitierten NBA-Minuten immer wieder Gegenspieler in die Luft.
Doch auch wenn sein Verteidiger auf den Beinen bleibt, kann Smailagic das Close-Out attackieren. Seine unterschätzte Kombination aus Geschwindigkeit und Beweglichkeit ermöglicht es ihm, trägere Gegenspieler beim Drive zu schlagen, am Korb mit Kontakt abzuschließen oder sich dort anderweitig Platz zu verschaffen. Hier geht er ohne große Probleme an Naz Reid vorbei und umgeht den inzwischen am Ring zur Hilfe geeilten Verteidiger elegant.
Nach dem angetäuschten Hand-Off mit Ky Bowman zieht Smiley hier an der Baseline zum Korb, wo er per Dunk abschließt. Auch wenn die gegnerische Verteidigung in diesem Fall freundliche Unterstützung leistet, ist diese Fähigkeit als Driver für einen Spieler seiner Größe durchaus bemerkenswert.
Allerdings lässt er sich noch zu häufig zu wilden Aktionen hinreißen. Teilweise wirkt er wie ein MyCareer-Spieler, der seine Spielbewertung mit allen Mitteln zu verbessern versucht: Überhastete Einzelaktionen ohne Aussicht auf Erfolg veranlassten Coach Kris Weems immer wieder zu verzweifelten Appellen, den Ball laufen zu lassen. Gegen Ende der Spielzeit verbesserte sich Smailagic in diesem Bereich merklich.
Ein Bereich, im dem Smailagic bereits in seinem ersten G-League-Jahr überzeugte, ist sein Passspiel. Er ist zwar kein Nikola Jokic, aber trotzdem in der Lage, gut postierte Mitspieler aus den unterschiedlichsten Situationen heraus anzuspielen. Er findet den cuttenden Mitspieler oder legt aus dem Post heraus für offene Werfer auf. Hin und wieder verpasst er ein offensichtliches Anspiel.
Smailagic ist ein aktiver Screensetter, der seinen Mitspielern sowohl on- als auch offball Platz verschaffen kann. Perspektivisch könnte der junge Serbe im Pick-and-Pop zur ernst zu nehmenden Gefahr werden. Hier orientiert er sich nach dem Screen für Bowman zur Dreierlinie, wo er den offenen Wurf in drei Punkte verwandelt.
Das offensive Post-Spiel ist ein zweischneidiges Schwert. Kräftige Verteidiger machten ihm in seinen beiden Jahren in der Entwicklungsliga zusehends Probleme. Vor allem zu Beginn der Saison versuchte er noch zu häufig, den Ball aus merkwürdigen Winkeln in Richtung Brett zu befördern. Zum Ende wirkte er kräftiger, hielt seine Balance, zog Fouls oder fand gut postierte Mitspieler. Zudem hat Smailagic eine Reihe an effektiven Post-Moves im Repertoire, mit denen er einen Spielzug durchaus zu einem erfolgreichen Ende bringen kann.
Smailagic ist ein Zukunftsprojekt. Dessen scheinen sich in Golden State alle bewusst. Die Warriors sind gewillt, dem jungen Serben die benötigte Entwicklungszeit einzuräumen. Ein Star wird er wohl nicht mehr werden. Vielleicht reicht es nicht mal zum Starter. Als Strech-Big, der im Pick-and-Pop Gefahr ausstrahlt, den Ball aber zur Not auch mal für einen Drive zum Korb auf den Boden setzten kann, könnte Smailagic durchaus eine Zukunft haben. Bis dahin wird er sich in der G-League und in limitierten NBA-Minuten beweisen müssen „Wir verfolgen einen geduldigen, längerfristigen Ansatz“, sagt Kent Lacob, der bei den Warriors für die Spielerentwicklung verantwortlich ist, „Wir müssen nicht vorpreschen und wichtige Schritte überspringen.“
Schon jetzt hat er eine beeindruckende Entwicklung hinter sich. Nur wenige schaffen es aus unterklassigen europäischen Ligen in den Dunstkreis der NBA. Ob er dort auch bleiben wird, könnte sich schon in der kommenden Spielzeit entscheiden. Jahr drei und vier seines Vertrages sind nicht garantiert. Obwohl die Verantwortlichen immer wieder betonen, nichts überstürzen zu wollen, stellt sich die Frage, wie lange sie ihrem Projekt einen Kaderplatz einräumen wollen. Das Titelfenster der Warriors wird sich in den kommenden Jahren zusehends schließen. Golden State wird jeden gebrauchen können, der neben Curry, Thompson, Green und Wiggins Leistungen bringt. Smailagic muss erst noch beweisen, dass er zu dieser Gruppe gehören kann. Die Warriors haben ihrem Talent einen Vorschuss eingeräumt. Es ist noch einiges an Arbeit nötig, bis er zurückgezahlt ist.