Mark Cuban und Daryl Morey oder ‘human elements’ gegen ‚logic‘
Mavericks-Besitzer Mark Cuban gehört mit Sicherheit zu den auskunftsfreudigsten Team-Ownern der NBA. Auch wenn seine Aussagen nicht immer völlig sachlich sind, finden sich oft bemerkenswerte Statements. So auch kürzlich, als er die menschliche Herangehensweise der Mavs der analytischen der Rockets gegenüberstellte. Was ist dran?
Und jährlich grüßt…
Eine gewisse Rivalität besteht zwischen den texanischen Teams schon lang, letzten Sommer haben sich die Protagonisten aus Houston und Dallas allerdings auf ein neues Niveau begeben. Anlass war die Free Agency von Dwight Howard mitsamt einiger Seitenhiebe in Richtung der Nachbarn sowie eines Trade-Angebots für Dirk Nowitzki, das Cuban als weitere Provokation auffasste. Während der Saison blieb die Auseinandersetzung auf niedriger Flamme am Köcheln, im Juli erreichte sie dann eine neues Niveau: Das Offer Sheet der Mavs für Chandler Parsons wurde auch als Versuch Cubans aufgefasst, Daryl Morey die Pläne zu durchkreuzen. Der Rockets-GM heizte ebenfalls weiter an und köderte Dirk Nowitzki mit einem Maximum-Vertrag.
Aus sportlicher Sicht konnten die Mavs einen ersten Erfolg verbuchen, als die Rockets nicht mit dem Parsons-Angebot mitgingen. Morey musste sich einigen Spott für seine Aktionen in dieser Offseason anhören, die das Team tendenziell verschlechterten. Auf Medien-Ebene legte die Mavs-Seite noch zusätzlich nach: Parsons beklagte sich über die mangelnde Wertschätzung seines bisherigen Teams, insbesondere die Suche nach einem dritten Star hatte ihm missfallen. Cuban äußerte sich bereits mehrfach, aber noch nie so grundsätzlich wie jetzt:
“Houston is a very logical organization. They do things by the book. They’ll follow logic as opposed to some other human elements … We look towards how do you build a team. Chemistry matters to us. Culture matters to us.“
Die Vulkanier der NBA?
Es ist sicher nicht völlig absurd, die Rockets als stark analytisch arbeitende Franchise zu bezeichnen. Cuban nahm etwa direkten Bezug auf Moreys Aussagen zu Parsons, dieser sei mit seinem neuen Vertrag nicht zu traden und kein Asset mehr. Eine an Trade-Foren und ähnliches erinnernde Rhetorik, die aber die in der NBA aber immer noch stark vertretenen ‚weichen‘ Faktoren außer Acht lässt. Auch der Abschied von Jeremy Lin und Ömer Asik zeigt, dass beliebte Spieler ohne größere Gefühlsausbrüche abgegeben werden.
Der Ruf als rationale Rockets entstand wohl ebenfalls mit diesen beiden Spielern. Die Vertragsabschlüsse – nachdem er zuvor praktisch das ganze Team demontiert hatte – verschafften Morey erstmals stärkere Aufmerksamkeit. Die Gestaltung der Verträge nutzte die Regularien der NBA so gut aus, dass die Kosten für Bulls und Knicks die der Rockets wohl bei weitem überstiegen hätten. Weitere gute Transaktionen und Vertragsabschlüsse hatten über die nächsten zwei Jahre den guten Ruf des Rockets-Managements gefestigt – insbesondere natürlich der Trade für James Harden und die Unterschrift von Dwight Howard, aber auch die mehrfach gezeigte Fähigkeit, abseits der Lottery NBA-taugliche Spieler zu finden.
Rocket Science
Die extremste Auswirkungen der Rockets-Analytik sind allerdings nicht in Houston zu sehen, sondern einige hundert Kilometer südwestlich. In Hidalgo, direkt an der Grenze zu Mexiko, spielt das D-League-Affiliate der Rockets, die Rio Grade Valley Vipers. Die Franchise ist der praktische Versuch, eine theoretisch durchgeplante Spielweise umzusetzen. Das bedeutete in der abgelaufenen Saison zum einen eine extrem hohe Pace mit fast 10 Possesions mehr pro Spiel als die schnellsten NBA-Teams. Zum anderen werfen die Vipers praktisch nur von der Dreipunktlinie oder direkt in der Zone – die mathematisch begründete Ablehnung des Mitteldistanzwurfs.
Dies ist nicht etwa nur dem Kader geschuldet, sondern eine klare Absicht Moreys, die sich etwa in der Wahl des Trainers zeigt. Auch in Houston lassen sich diese Überlegungen wiederfinden, die Rockets waren in der vergangenen Saison das Team mit den meisten Dreipunktversuchen und –treffern sowie das schnellste Playoff-Team. In beiden Fällen ist dieses Vorgehen auch weitgehend erfolgreich, die Vipers wiesen das höchste, die Rockets immerhin noch das fünfthöchste Offensivrating auf. Selbst auf den einzelnen Spielzug heruntergerechnet ist die Spielweise also effizient.
Alles neu?
Trotzdem können Moreys Ideen nicht unbedingt als bahnbrechend innovativ bezeichnet werden. Mit den Möglichkeiten des CBA jongliert haben bereits andere Teams vor ihm, die Spieler nur als Angestellte zu behandeln ist auch keine Neuerung – höchstens, dafür noch auf Begeisterung zu stoßen. Auch das Valley Vipers-Projekt mit hoher Geschwindigkeit und wenigen Mitteldistanzwürfen ist so keine Erfindung Moreys. Unverkennbar sind die Ähnlichkeiten zu Mike D’Antonis Seven Seconds or Less-Suns und Nellie Ball, benannt nach Don Nelson, Vater des derzeitigen Mavs-GMs (!) Donnie Nelson – durchgeführt unter anderem von den Dallas Mavericks (!!) der frühen 2000er Jahre. Die hohe Spielgeschwindigkeit kann genauso wenig beeindrucken, wenn man einen Blick auf die 70er Jahre wirft: In fast jeder Saison findet sich ein Team mit einer höheren Pace als die der Valley Vipers 2014. Auf die beschriebene Wurfauswahl baut etwa Manu Ginobili bereits seit dem Beginn seiner NBA-Karriere, oder wie es Kirk Goldsberry beschreibt: „he hated midrange shots before it was cool to hate them“.
Gleichzeitig bedienen sich Morey und Co. wenn nötig auch der menschlichen Faktoren. Beim Werben um Dwight Howard wurde wohl dessen Antipathie gegenüber Kobe Bryant ausgenutzt, während gleichzeitig die Center-Legenden der Rockets bemüht wurden, um dem Geltungsbewusstsein des potentiellen Nachfolgers zu entsprechen. Ironischerweise war zudem Chandler Parsons in einer wichtigen Rolle beteiligt, indem er Howard das derzeitige Team schmackhaft machte. Weitere ähnliche Beispiele fänden sich leicht, etwa in der Außendarstellung des Teams als jung und sympathisch.
Und die Mavs?
Zumindest als jung kann Mark Cuban sein Team um Dirk Nowitzki nicht vermarkten, der Sympathiefaktor liegt hier eher in der Beständigkeit. Höchstens die Spurs können noch eine ähnlich enge und lange Beziehung des Teams zum Franchise-Player aufweisen, selbst Kobe Bryant und die Lakers hatten in ihrer ‚Ehe‘ diverse Krisen zu überstehen. Damit hat Cuban natürlich ein gutes Argument auf seiner Seite. Er übernahm die Mavs zwei Jahre nach dem Draft Nowitzkis und baute das Team um den Deutschen herum auf, so dass Cuban- und Nowitzki-Ära der Mavericks in der Wahrnehmung praktisch zusammenfallen. Die spätestens seit der Meisterschaft großen Sympathien für den Spieler färben so auf Organisation und Besitzer ab.
Aber auch das persönliche Engagement Cubans spricht für die These. Wohl kein anderer Besitzer ist so eng in die Geschäfte und auch den Alltag seines Teams miteinbezogen, Cuban begleitete sein Team etwa lange Zeit zu fast allen Auswärtsspielen. Auch das Gesicht der Franchise ist klar er und nicht Donnie Nelson, wie auch die Rockets-Auseinandersetzungen wieder zeigen. In den meisten Fällen wird ein Trainer, Präsident oder GM als Kopf der Franchise verstanden, wie etwa Gregg Popovich in San Antonio, Pat Riley in Miami oder eben Morey bei den Rockets. Die Besitzer halten sich eher im Hintergrund oder fallen, wie James Dolan bei den Knicks, höchstens negativ auf.
Trotzdem sind die Mavs alles andere als ein reines Feel-Good-Team ohne analytischen Backround. Die Mavericks gehörten zu den ersten Franchises, die 2009 SportsVU-Kameras in ihre Arena einbauen ließen. Das seit der letzten Saison ligaweit verwendete Spieler-Tracking-System liefert vorher kaum zu ermittelnde Advanced Stats: Beispielsweise die Ballbesitzzeiten der Spieler oder genauere Daten zum Verhalten mit direktem Gegenspieler, wie etwa hier oder hier verwendet. Dass die Mavs also neben den Rockets sowie Spurs und Thunder in der Liste der Vorreiter oder „most tech-savvy NBA-Teams“ steht, zeigt die Bereitschaft Cubans, in Analysetools zu investieren – und nicht nur auf klassische Methoden zu vertrauen. Auch hier ließen sich weitere Beispiele finden, wie etwa weitgehend unsentimentale Trades langjähriger Schlüsselspieler – oder Gegenargumente, wie etwa die Rückkehr ebendieser. Jason Kidd, Devin Harris und zuletzt Tyson Chandler fallen in dieser Hinsicht sofort ein.
Der Rest der Liga
Nicht nur diese beiden Teams müssen sich mit den Problemen auseinandersetzen, die durch die zunehmende Verfügbarkeit von Daten oder die wachsende Komplexität der Salary-Regularien entstehen. Die gesamte NBA erlebt eine Professionalisierung und Diversifizierung der Arbeit abseits des Parketts, die vor einigen Jahrzehnten im Wesentlichen durch ehemalige Profis erfolgte. Heute finden sich immer mehr Seiteneinsteiger im Management oder den Coaching-Stäben der Liga, die etwa über College, Universitäten oder Medien den Weg in ihre Positionen fanden.
Dass dieser Übergang nicht konfliktfrei abläuft, kann kaum überraschen. Oft dürften solche Auseinandersetzungen hinter den Kulissen bleiben, im Fall der Memphis Grizzlies sind sie allerdings öffentlich geworden. Advanced Stats-Guru John Hollinger wurde im Dezember 2012 von den neuen Team-Besitzern für das Management verpflichtet, um die in seiner Arbeit für ESPN entworfenen Methoden wie etwa PER praktisch umzusetzen. Auf wenig Begeisterung stieß er damit bei Lionel Hollins, dem damaligen Coach. Die Auseinandersetzungen um Herangehensweise und Kompetenzen trugen dann wohl entscheidend dazu bei, dass der sportlich relativ erfolgreiche Trainer nach der Saison 2012/13 gehen musste. Dass ein älterer, früherer Spieler gegen den neu eingestiegenen Journalisten den Kürzeren zog, könnte durchaus ein Vorzeichen für die weitere Entwicklung sein.
Warum das Ganze?
Auf einer Position sind die ehemaligen Spieler allerdings noch zahlreich: Der des Kommentators oder Analysten. Aus dieser Rolle heraus kommt ein Großteil der negativen Aussagen zu Advanced Stats oder Fehleinschätzungen zum CBA. Damit prägen die ‚konservativen‘ Kräfte nicht unerheblich das Bild in den Medien und dadurch vieler Zuschauer. Die aktiven Spieler stehen oft auf der gleichen Seite, wie etwa Rudy Gays Verbot von Statistiken in der Umkleide zeigt.
Man kann Mark Cuban also durchaus Berechnung in seinen Aussagen unterstellen – der oft als sehr direkt wahrgenommene Mavs-Owner verfolgt mit seinen Statements nicht selten tiefer gehende Absichten. Das eigene Team als spielerfreundlich, den Rivalen aber als überanalytisch darzustellen, ist eine subtile Form des Selbstmarketings angesichts der Präferenzen von Medien und Spielern.
Dass ein Mix aus beiden Aspekten der erfolgreichste Weg sein dürfte, würde wohl auch Cuban nicht bezweifeln – wie am Vorgehen der Mavs zu sehen. Sportlicher Erfolg ist ohne Teamchemie kaum zu erwarten, aber auch analytisches Arbeiten ist mittlerweile erforderlich. Es ist wohl kein Zufall, dass die Spurs als aktueller Champion auch als Meister in diesen beiden Kategorien gelten: Es gewinnt das Beste beider Welten, nicht ein Konflikt wie in Memphis oder vermeintlich zwischen Dallas und Houston.