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Woher kommt die neue Offensivkraft?

Die Gründe für das gestiegene ORtg in der NBA

Die Gründe für das gestiegene ORtg in der NBA

Ob es dem gemeinen NBA-Fan auch optisch aufgefallen ist? Wer zu Saisonbeginn viele Spiele der Golden State Warriors gesehen hat oder auch zuletzt das Duell der Rockets und Thunder, der hat vielleicht bemerkt, dass die offensive Leistung vieler NBA-Teams in dieser Saison merklich besser geworden ist, als dies in den letzten Jahren der Fall war. Zumindest wenn man das Offensivrating der Teams zugrunde legt, das abbildet, wie viele Punkte Teams normiert auf 100 Ballbesitze scoren. Stattliche 108.7 beträgt der durchschnittliche Wert in diesem Jahr. Das sind 2.3 Punkte auf 100 Ballbesitze mehr als noch in der letzten Saison und sogar 3.1 mehr als 2014/15. Woher kommt dieser offensive Aufschwung, der natürlich auch mit einem ebenso großen Einbruch des Team-Defensivratings einhergeht? Ist der Angriff besser geworden und die Verteidigung schlechter? Oder stecken ganz andere Gründe dahinter? 

Die Faktoren für eine erfolgreiche Offensive

Zunächst einmal muss man sich verdeutlichen, welche Faktoren für Teams in der Offensive wichtig sind. Zum einen geht es natürlich darum, den Ball in den Korb zu bringen; das ist auf drei verschiedene Arten möglich: mit einem „normalen“ Zweipunktewurf, mit einem Dreier oder von der Freiwurflinie. Fassbar sind diese Ereignisse über die 2P%, die 3P% und die FT%. Daneben ist es auch wichtig, wie oft Teams von wo werfen. Das kann man über die 3PAr (Anteil der Dreipunktewürfe an allen Würfen), die 2PAr (dasselbe für Zweipunktewürfe) und die FTAr (hier werden die Freiwürfe betrachtet) statistisch darstellen. Zudem kann eine Possession auch noch ein viertes Ende nehmen. Das passiert immer dann, wenn ein Spieler oder das ganze Team einen Turnover begeht. Der interessante statistische Wert hierfür ist die TOV%, die angibt, wie viele Turnover sich ein Team prozentual im Verhältnis zu allen Ballbesitzen leistet.

Neben diesen doch recht offensichtlichen Faktoren spielt auch noch eine weitere statistische Größe eine Rolle, wenn man die offensive Stärke oder Schwäche eines Teams bewerten möchte. Dabei handelt es sich um die Pace, die über den Umweg der Gesamtzahl an Ballbesitzen eines Teams auf 48 Minuten normiert sozusagen die „Spielgeschwindigkeit“ abbildet. Viele Ballbesitze bedeuten eine hohe Geschwindigkeit, wenig Ballbesitze – und damit eine niedrige Pace – sprechen für einen langsamen Spielstil des Teams. Das ist insofern relevant, da Abschlüsse im Fastbreak zu den besten der NBA zählen und damit natürlich die 2P% und auch die 3P% – man denke z. B. an die offenen Dreier eines in der zweiten Welle mitlaufenden Spielers – steigt. Umgekehrt ist das Setplay, vor allem seit Zonenverteidigung in der NBA erlaubt ist, eher mäßig effizient, wodurch dann auch das ORtg sinkt.

Als Betrachtungszeitraum für die Untersuchung werden diese Saison und die beiden vorherigen Spielzeiten gewählt. Natürlich wären auch langfristige Betrachtungen angemessen, doch der Sprung des Offensivratings in dieser kurzen Zeitspanne ist so erheblich, dass eine Untersuchung dieser drei Saisons ohne den historischen Hintergrund geboten scheint.

Die Zahlen im Detail 

Das Offensivrating ist seit der Saison 2014/15 – wie schon erwähnt – stark gestiegen.

Die auffälligste Änderung der restlichen Parameter ist sicherlich die extreme Steigerung der 3PAr innerhalb dieser drei Spielzeiten. Während noch 14/15 nur 26.8% (22.4 Dreier/Spiel) der Würfe aus dem Feld Dreier waren, sind es dieses Jahr 31.5% (26.9 Dreier/Spiel). Insbesondere die Houston Rockets tun sich hierbei mit einer absurd hohen Dreierrate von 46.5% hervor. Anders als es bei dieser Volumenerhöhung zu erwarten wäre, ist jedoch auch die Treffsicherheit Spieler gestiegen. Diese Saison treffen die Teams im Schnitt 35.8% ihrer Dreier, vor zwei Jahren waren es noch 35.0%. Die Steigerung sieht zwar nicht besonders groß aus, doch im Kontext der riesigen Zunahme der Dreierversuche ist sie enorm.

Der Anteil der Zweipunktewürfe an allen Wurfversuchen ist logischerweise seit 14/15 gesunken. Was die Teams allerdings nicht davon abhält, die Zweier ebenfalls besser zu treffen. Auffällig dabei: Der Anteil der Korbleger an allen Wurfversuchen ist im Vergleich zum Anteil der Zweier von 15/16 zu 16/17 unterproportional gesunken und von 14/15 zu 16/17 sogar gestiegen. Damals waren noch 22.8% aller Wurfversuche Korbleger, nun sind es 25%. Der Anteil der Korbleger, also besonders einfacher Würfe, an den Zweipunktewürfen ist also seit 14/15 stark gestiegen. Korbleger kommen beim Basketball sehr einfach im Fastbreak zustande. Und fast folgerichtig ist auch die Pace seit der Saison 2014/15 stark gestiegen. Betrug sie damals noch 93.9, liegt sie heute bei 96.4. Das Spiel ist also deutlich schneller geworden, was in der Theorie für eine erhöhte Turnoverrate sorgen sollte. Doch in der Praxis ist die TOV% gesunken. Lag sie 2014/15 noch bei 13.3%, beträgt sie diese Saison 12.8%. Das ist bemerkenswert und trägt einen Teil zum stark gestiegenen ORtg bei.

Die Gründe für die Steigerung

Ein einfaches „sie treffen halt besser“ wäre als Begründung für die statistischen Veränderunen zu kurz gegriffen. So eine Aussage könnte man Mitte November gelten lassen, doch inzwischen ist es Anfang April und jedes Team hat schon einen Großteil der Spiele absolviert. Auch ein Verweis auf eine im Vergleich zu den Vorjahren schlechter aufgestellte Defense ist nicht wirklich haltbar, denn warum sollten die zum größten Teil selben Spieler plötzlich kollektiv schlechter verteidigen? Ebenso falsch wäre es, eine plötzlich und kurzfristig gesteigerte individuelle offensive Potenz aller Spieler anzunehmen. Auch dafür gibt es keine wirklichen Hinweise.

Vielmehr sind die dargestellten Zahlen der vorläufige Höhepunkt einer individuellen, aber vor allem taktischen Entwicklung im offensiven Bereich. Julian Lage hatte in einem Artikel 2016 beschrieben, wie sich die NBA aufgrund der immer mehr zunehmenden Dreierversuche verändert. In diesem Jahr wird die Entwicklung fortgeschrieben.

Nun sind es nicht mehr nur die Guards wie Stephen Curry, Damian Lillard oder Klay Thompson, die große Mengen Dreier nehmen und treffen, sondern auch Spieler, die bisher entweder wirklich in „traditionellen“ Rollen unterwegs waren oder es in früheren Jahren gewesen wären. Unter erstere Kategorie fallen bspw. DeMarcus Cousins und Brook Lopez. Letzterer hatte in seiner bisherigen Karriere bis zum Beginn dieser Saison 31 Dreier versucht. Dieses Jahr hat er bereits 123 (!) getroffen. 2015/16 nahm er vor allem noch Midrange-Jumper (34% seiner Abschlüsse), wie auch in dieser Szene. 

Nun hat er seine Würfe aus der Mitteldistanz deutlich reduziert (nur noch 14,5% der Würfe) und nimmt stattdessen Dreier. In der folgenden Situation steht er einfach zwei Meter weiter hinten, macht so das Spiel deutlich breiter und trifft auch von der Dreierlinie. 

Cousins fing schon 2015/16 so richtig mit dem Dreierwerfen an und konnte dieses Jahr Volumen und Trefferquote nochmals steigern. Auch er galt – ebenso wie Lopez – eigentlich jahrelang als klassischer P&R- und Lowpost-Bigman. Dazu kommen noch Talente wie Karl-Anthony Towns, die als Big Men schon seit ihrem Eintritt in die NBA Dreier geworfen haben. 

Erst in dieser Saison wurde es außerdem zum Trend, dass ganze Teams Unmengen Dreier werfen. Selbst die Houston Rockets, Vorreiter des nach ihrem GM benannten „Morey-Ball“, kamen 2015/16 „nur“ auf 37% 3PAr – heute sind es gut 46% und drei weitere Teams knacken die Marke vom letzten Jahr ebenfalls, während sich nochmal fünf zum Teil bequem über dem Durchschnitt befinden. Diese Teams nehmen die Dreier jedoch nicht nur weil sie es wollen, sondern auch weil sie es können. Nicht umsonst spielen in San Francisco, Houston und Cleveland die besten Schützen der Liga. 

Eine langfristige Entwicklung der Skills

Weiter oben wurde festgestellt, dass nicht von einer kurzfristigen Erhöhung individuellen offensiven Fähigkeiten der Spieler auszugehen ist. Trotz der „schlagartigen“ Verbesserungen einzelner Spieler wie Brook Lopez bleibt diese These richtig – dennoch gibt es im US-Basketball, auch an den Highschools und Colleges, schon seit längerem eine Entwicklung, die die individuellen Fähigkeiten der Spieler so verändert, dass sie zur schon beschriebenen taktischen Veränderung passen. Dieser Evolutionsprozess ist dabei als Aufwärtsspirale zu begreifen. Je eher die individuellen Fähigkeiten der Spieler zu einer Taktik mit mehr Dreiern und schnellerem Spiel passen, desto eher wird diese Taktik auch eingesetzt – und desto eher entwickeln sich gerade junge Spieler noch mehr in diese Richtung.

“My belief is that we’ve entered a new era of high skill level Sixteen years ago, when I first came into the league, they had just changed the rules” – Rick Carlisle

Rick Carlisle, Head Coach der Dallas Mavericks, erklärt sich den Trend hin zu mehr Skills durch die Regeländerungen in der Defensive zu Beginn des Jahrtausends. Insbesondere das Erlauben der Zonen-Defense habe zu mehr Ballbewegung und dadurch indirekt zu höheren Anforderungen für die individuellen Fähigkeiten der Spieler geführt. Neue Trainingsmethoden und das Erkennen dieser Anforderungen hätten insbesondere den Highschool- und College-Bereich derart beeinflusst, dass die Spieler in den relevanten Kategorien wie Shooting und Ballhandling besser ausgebildet wurden. Diese Entwicklung sei mit den entsprechenden Spielern nun so richtig in der NBA angekommen.

Carlisles Erklärungen sind durchaus logisch und eine gute Erklärung für den Gesamttrend. Für den Sprung der Offensive dieses Jahr müssen allerdings auch die taktischen Veränderungen miteinbezogen werden. Alle wollen so sein wie die Warriors in den letzten Jahren – und in Houston setzt Mike D’Antoni das Konzept des Morey-Balls mit wirklich allerletzter Konsequenz um.

Wunderwaffe Spacing 

In der Konsequenz all dieser Faktoren gibt es in der Liga ein noch nie da gewesenes Spacing. Spacing, das bedeutet zwei Dinge: einerseits das reale Treffen von Dreiern, also das Bestrafen von z. B. Double Teams, andererseits jedoch die Möglichkeit, dass Spieler Dreier treffen könnten. Andre Roberson und seine Dreierquote von 25% nimmt in der Liga niemand ernst. Deswegen können es sich Verteidiger leisten, abzusinken und gegen Russell Westbrooks Drives in die Zone auszuhelfen. Bei einem guten Schützen wäre das nicht möglich, denn die Gefahr, dass er freistehend den Ball bekommt und den Dreier trifft, wäre hoch. Bisher besaßen einfach nicht so viele Spieler den Skill des Dreipunktewurfes, dass viele Teams es sich leisten konnten, fast durchgängig mit mehreren starken Schützen zu spielen. Aufgrund der oben aufgezeigten Entwicklungen der Skills vieler Spieler ist das in dieser Saison anders. Demzufolge wurde auch die Taktik angepasst. Wenn mehr Shooter zur Verfügung stehen, werden sie von den Trainern auch genutzt. Die Folgen sind klar: sehr viel Platz in der Zone für schnelle Spieler wie James Harden oder Isaiah Thomas (Russell Westbrook aufgrund der vom Trend abweichenden Situation in Oklahoma City mal außen vor gelassen), dadurch ein allgemein schnelleres Spiel, das zu mehr Fastbreaksituationen führt, mehr Punkte, eine größere Anzahl an Dreiern und natürlich: ein deutlich erhöhtes ORtg.

Das Beispiel der Houston Rockets  illustriert das. Hatte das Team 2015/16 noch – trotz Morey-Ball – eine 3PAr von “lediglich” 37%, so sind es in dieser Saison knapp 46%. Entsprechend hat sich auch ihr Spiel geändert. Dieses Jahr stehen oft – wie hier gegen die Suns – vier Spieler an der Dreierlinie und machen das Feld für dem nach dem Pass von Beverley zum Korb ziehenden Eric Gordon breit. 

Die Rockets spielen fast immer mit mindestens vier Schützen, was sich auszahlt. Im letzten Jahr war das noch anders. Center Dwight Howard, inzwischen in Atlanta, spielte 32 Minuten und auch andere non-Shooter wie Josh Smith, Terrence Jones oder Corey Brewer bekamen signifikant Spielzeit. Die Folge waren dann Szenen wie diese, die man jedoch auch bei jedem anderen Team mit weniger Schützen immer wieder sieht. 

Smith, der 2015/16 lediglich 27% seiner Dreier traf, nimmt in der Ecke niemand ernst, auch zwei weitere Rockets-Spieler stehen nahe der Zone. In der Konsequenz können die Jazz die Zone zustellen, James Harden wird in den Midrange-Jumper gezwungen und verwirft. 

Für die Verteidigungsreihen ist eine solche Situation einfach zu verteidigen – die neue Situation mit dem enormen Spacing bislang kaum bis gar nicht. Das liegt aber nicht, wie oben schon angedeutet, an den defensiven Fähigkeiten der Spieler oder Trainer, sondern einfach an einer Situation, die in dieser Wucht für alle neu ist und gegen die bisher schlicht und einfach die Mittel fehlen. Ob sich das ändern wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bestimmt werden. Gegen viele Änderungen – waren sie regeltechnischer Natur oder eher taktischer – haben die Coaches immer wieder Defensivschemata gefunden, die wirkten. Hier bisher jedoch nicht. 

Balance ist alles 

Insgesamt gesehen sind für die Verbesserung der Offensiven der Teams viele verschiedene Faktoren verantwortlich, die sich jedoch oft gegenteilig beeinflussen und bedingen. Zunächst einmal ist eine verbesserte Offensive natürlich nichts Schlechtes für die Zuschauer und die Attraktivität der Liga allgemein. Ein 80-78 will niemand sehen – das gleiche gilt jedoch auch für Spiele, in denen wirklich jeder Wurf reinfällt. Dafür gibt es die Harlem Globetrotters oder das Allstargame. Es liegt deswegen an den Defensivspezialisten in den Trainerstäben der NBA, Defensivschemata zu entwickeln, die auf den Trend die richtige Antwort geben können. Auf die richtige Balance kommt es an, auch in der NBA.

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