Alltimers, New York Knicks

Wie bewerten wir Spieler, Teams und Trades?

Am Beispiel vom Wechsel von Derrick Rose zu den New York Knicks.

Am Beispiel vom Wechsel von Derrick Rose zu den New York Knicks.

Mit der Offseason erwartet uns die nächste spannende Phase im NBA-Jahr. Es beginnt ab dem ersten Juli ein neues Kalenderjahr für die beste Basketballliga des Planeten und damit vor allem die Spekulation, welcher Spieler bei welcher Frnachise unterschreibt.

Wichtiger ist in den letzten Tagen vor dem Moratorium – und unterhalb der Saison eigentlich an jedem Tag, an dem die eigene Franchise verliert – das Spekulieren, welcher Spieler zur eigenen Lieblingsfranchise passt und das Team verbessert. Trades sind für alle Fans spannend und auch für die größten Experten manchmal kaum zu erklären. Schließlich haben hier zwei Franchises abgewogen, ob der oder die ertradeten Spieler eine sinnvolle sportliche (oder finanzielle) Addition darstellen. Der Außenstehende versucht dann nachzuvollziehen, wieso beide Franchises dem Trade zustimmten – und bewertet darüber hinaus, welcher General Manager den besseren Job gemacht hat.

Doch wie bewertet man einen Spieler oder Deal eigentlich? Stellvertretend für unser gesamtes Scouting von Spielern und unseren Analysen zur Taktik von Teams oder zur Bewertung von Trades will ich am Deal zwischen den New York Knicks und den Chicago Bulls darstellen, wie wir arbeiten, worauf unsere Erkenntnisse fußen und weswegen wir trotzdem noch viel zu oft mit unseren Prognosen falsch liegen. Der Fokus soll hier nur auf Derrick Rose liegen, weil der Artikel sonst – selbst für Go-to-Guys-Maßstäbe – den Rahmen sprengen würde.

Die Chicago Bulls tradeten also ihren Franchise Player in Derrick Rose mitsamt Justin Holiday für Robin Lopez, José Calderon und Jerian Grant. Exemplarisch zur Evaluation eines Spielers erklären wir, wie wir Derrick Roses Saison 2015/16 bewerten würden.

Der Eye Test

Wenn wir einen Spieler evaluieren, dann muss an erster Stelle der Eye Test stehen. Es ist unabdingbar, dass man die wichtigsten Spieler des Deals so gut kennt, dass man valide Aussagen zu ihnen treffen kann. In diesem Fall ist es wichtig, dass wir wissen, was Derrick Rose uns anbieten kann und welche Stärken und Schwächen von Robin Lopez, José Calderon und Jerian Grant besitzen. Justin Holiday ist als „throw-in“ vernachlässigbar und dürfte keine größere Rolle bei den Knicks spielen – außer bei den Knicks läuft es wieder nicht besonders gut.

Von allen Spielern muss zwingend nicht nur ein Eindruck im Kopf hängen geblieben sein, sondern man sollte durch den Eye Test Dinge wahrgenommen haben, die a) sich durch Statistiken verallgemeinern lassen und b) durch Statistiken nicht abgedeckt werden können. Gerade der zweite Teil ist wichtig, um Teile des Spiels beschreiben zu können, die nicht im Boxscore auftauchen. Hier ist es von entscheidender Bedeutung, dass bspw. Robin Lopez ein sehr guter Screener ist, der Aktionen für seinen Ballhandler positiv beeinflussen kann, oder dass José Calderons Defense zurecht einen so schlechten Ruf genießt.

Der Eye Test ist aber auch trügerisch, weil er immer nur einen Ausschnitt der erbrachten Leistung eines Spielers in einer Saison zeigt. Selbst wenn der Ausschnitt exemplarisch war, müssen wir sicherstellen, dass unser gesehenes Material auch Gültigkeit für die anderen 60 Spiele hat, die wir nicht gesehen haben. Deswegen ist der Eye Test immer der Startpunkt einer Untersuchung, um erste Eindrücke eines Spielers zu erhalten. Diese jetzt nicht zu quantifizieren und auf Grundlage des eigenen Gesehenen den Spieler zu bewerten, ist nicht hilfreich, sondern schadet der Objektivität der Analyse. Wir brauchen Statistiken, um zu verallgemeinern, was wir gesehen haben.

Das richtige statistische Fundament

Wir alle nutzen Statistiken. Jeder von uns. Nicht nur die Redakteure hier, sondern alle Basketballfans oder –beobachter. Wenn wir beschreiben wollen, wie extraordinär Stephen Curry werfen kann, führen wir seine Dreierquote und sein Volumen an, um zu zeigen, wie einzigartig er als Spieler ist. Das sind Statistiken, die unsere Aussage stützen. Wenn wir LeBron James‘ Allrounder-Qualitäten anführen wollen, verweisen wir auf seine Punkte, Rebounds und Assists pro Spiel. Das sind ebenfalls Statistiken. Jeder Fan nutzt sie mittlerweile, auch wenn sich einige anderen metrischen Werten außerhalb des Boxscores verweigern. Über die Fehleranfälligkeit von „pro Spiel“-Werten ist bereits ausreichend diskutiert worden. Wer 2016 noch meint, dass ein Spieler mit 15 PPG per se besser sei als einer mit 12 PPG, wird im Regelfall schief angesehen. Es gibt eine Entwicklung hin zur Nutzung der richtigen Statistiken.

Doch was sind denn die richtigen Statistiken? Gibt es sie überhaupt? Basketball-Puristen würden dies verneinen und anführen, dass es noch immer nichts zur Bewertung von Defense gibt, dass Screens nicht wertgeschätzt werden oder Charges nicht im Boxscore auftauchen. Das ist alles richtig, aber zeigt uns keine Handlungsalternative auf. Die einzige Möglichkeit bestände darin, gar nichts mehr zu analysieren, alles aus dem Bauch oder mit PPG zu erklären und damit definitiv zu falschen Schlüssen zu kommen.

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Redaktionsintern haben wir verschiedene Ansätze, um einen Spieler im Vakuum zu analysieren. Es gibt einige Redakteure, die mit dem RPM als Fundament beginnen, andere greifen auf das individuelle Offensive Rating als Einstieg zurück. Welche Vorzüge das Offensive Rating hat, wurde bereits vor Jahren hier dargestellt: Es erfasst alle relevanten on-ball-Aktionen eines Spielers und gewichtet es so, dass man erahnen kann, wie viele Punkte pro Possession entstehen, wenn der Spieler daran beteiligt ist. Das Team-Offensive Rating ist die Angabe, wie viele Punkte ein Team erzielt, wenn es 100 mal angreift. Die Chicago Bulls erzielten im Schnitt 105 Punkte mit 100 Angriffen.

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Wenn Derrick Rose spielte und an einem Abschluss beteiligt war, kamen die Bulls auf 96 Punkte. Dies ist die Ausgangsbasis der Untersuchung. Wie kann ein Spieler, der vor Jahren noch MVP der Liga war, ein Team um 9 Punkte schlechter machen? In Kurzform könnte man sagen, dass das ein großer Grund für den Trade war und die Verletzungen Roses natürlich ihr Übriges dazu beitrugen.

Faktisch ist Derrick Rose einer der Spieler in der NBA, der unheimliche Probleme hat, zwischen der eigenen Wahrnehmung und der tatsächlichen Leistung zu unterscheiden. Rose ist im Kopf noch immer ein Franchise Player, der beste Spieler der Bulls. Auf dem Feld ist er einer der toxischeren Spieler für ein Team. Nichts ist schlimmer als ein balldominanter Aufbau, der viele falsche Entscheidungen trifft, aber den Ball für sich beansprucht.

Doch wie erkennt man nun, dass Rose ein Problemkind ist? Wir haben bisher nur eine Zahl gesehen. Im Fall von Rose fasst diese jedoch schon sehr viel zusammen: Rose hat traditionell den Ball viel und oft in den Händen (Top 15 in der Liga). Das bedeutet, dass er ohne Ball recht wenig macht und somit die On-Ball-Offense, die durch das ORtg ausgedrückt wird, fast deckungsgleich mit dem ist, was Rose in der gesamten Offense produziert. Das Offensive Rating ist deswegen so sinnvoll, weil es (Frei-)Würfe, Assists, offensives Rebounding und Turnover in eine Gleichung bringt, um etwas über den Gesamtimpact auszusagen. Alle anderen Metriken vermischen Offensive und Defensive oder missachten die Turnover – ein essentieller Fehler zur Beurteilung.

Betrachten der Wurfauswahl

Mit dem Offensive Rating als Fundament kann man nun auf Fehlersuche bei Rose gehen. Als zweiter Indikator für die Leistung könnte hier eine Shot Chart herangezogen werden, um zu sehen, wo (und vor allem: mit welchem Volumen) Rose abgeschlossen hat.

Shotchart_Rose1516Das Ergebnis ist ernüchternd. Bei Rose sieht man – auf den ersten Blick – kaum Stärken. Er schließt unterdurchschnittlich am Ring ab und trifft den above-the-break Dreier mit traurigen 29%. Leider sind das bereits fast 50% seiner Würfe, die er nimmt. Die gelben Bereiche machen eigentlich Hoffnung auf mehr, sodass Rose sich doch auf die Mitteldistanz verlassen sollte, oder? Genau hier setzt das kontextbasierte Wissen ein, das man benötigt, um diese Shot Chart richtig lesen zu können. Fakt ist: die roten Bereiche erbrachten Rose mehr Punkte als der gelbe. Das liegt daran, dass die Farben nur einen Ligavergleich darstellen, aber nicht, aus welchem Bereich Rose die meisten Punkte pro Wurf kreierte. Es geht wieder mal um die simple Rechnung, die besagt, dass zwei Punkte mehr zählen als drei oder – im Falle der Abschlüsse am Ring – dass eine höhere Abschussquote wichtiger ist als eine farbliche Anordnung. Rose erzielt pro Wurf am Ring 0,97 Punkte, vom above-the-break-Dreier 0,88 Punkte – und in der Mitteldistanz 0,84 Punkte.

Nun sollte man zum Schluss kommen, dass Rose einfach mehr Würfe am Ring forcieren muss – klar, er trifft sie dort auch nicht gut, aber es ist seine effizienteste Zone. Bedenkt man nun noch den blinden Fleck der Shot Chart (es fehlen Turnover und Freiwürfe) und checkt gegen, dass Rose mickrige 2,7 Mal pro Spiel an die Linie geht (der Freiwurf ist weiterhin der effizienteste Wurf im Basketball. Rose erzielt pro zwei Freiwürfe 1,58 Punkte!), ist das Urteil relativ einfach: mit Geschwindigkeit zum Korb. Leider belegen weitere Kennziffern, dass Rose dies nicht mehr in dem Maß beherrscht, um ein Spiel damit zu dominieren.

Fokus auf die elementaren Facetten

Die Schwachstellen in Roses Offensivspiel sind nun also benannt: ein ungefährlicher Distanzwurf und unzureichendes Finishing am Korb, gepaart mit zu wenigen Freiwürfen. Um dies jetzt zu visualisieren, verbinden wir den anfänglichen Eye Test mit exemplarischen Szenen, um zu zeigen, was die Vorzüge oder Probleme eines Spielers sind. Bei Derrick Rose ist dies vor allem – im Vergleich zu seinen früheren Jahren – das Unvermögen, um an den Ring zu kommen, um dort abzuschließen. Rose setzt sehr oft zum Drive an (dies sieht man auf stats.nba.com/tracking/#!/player/drives/), aber wird zu oft zu einem Midrange-Jumper gezwungen bzw. entscheidet sich dafür, diesen zu nehmen. Dies sieht man auch daran, dass Rose unter den guten Point Guards der unwilligste Passer aus dem Drive ist; er spielt prozentual die wenigsten Pässe.

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Wichtig ist nun, dass man exemplarische Szenen auswählt und nicht einfach Szenen, die man schnell findet oder die man aus Highlight-Clips kopieren kann. Rose nimmt 50% seiner Würfe aus der Mitteldistanz, findet seine Mitspieler nicht, zieht zu wenig Freiwürfe und kommt nicht zum Ring durch. Das ist beim Drive das häufigste Ergebnis. Deshalb muss eine Szene ausgewählt werden, die viele – möglichst alle – Bedingungen erfüllt. Unproduktiv wäre hier ein erfolgreicher Layup direkt am Ring. Das ist nicht das wahrscheinlichste Ergebnis Roses beim Drive.

Stellvertretend steht also diese Szene für Roses Probleme:

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Wir befinden uns in einem Spiel im Januar gegen die Utah Jazz. In der Overtime führen die Jazz mit zwei Punkten. Der nächste Angriff ist für die Bulls also sehr wichtig. Derrick Rose geht in ein Side Pick’n’Roll mit Taj Gibson, um zum Korb vorzudringen. Er wird auf Rudy Gobert zulaufen. On top of the key steht Pau Gasol bereit, um einen Pass zu fangen. Gasol ist der beste Mitteldistanzwerfer der Bulls. Es sind noch 18 Sekunden auf der Uhr. 

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Zwei Sekunden später hat sich Rose dafür entschieden, noch einen Schritt nach vorne zu machen und einen der ineffizientesten Würfe zu nehmen, die der heutige Basketball aufzubieten hat: in der Mitteldistanz, einen Schritt innerhalb des Perimeters, off-the-dribble, contested durch einen der besten Ringbeschützer der Liga, mit 16 Sekunden auf der Wurfuhr. Dabei hatte Rose so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass Derrick Favors sich von Gasol wegorientiert hatte. Dieser war frei und hätte sehr gute Optionen gehabt, um entweder einen Catch-and-Shoot-Wurf anzubringen, den er von dort zu über 50% trifft, oder weiterzupassen. Roses Wahrscheinlichkeit, den Wurf zu treffen, sind weit geringer und belaufen sich auf 40%.

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Dennoch ist Derrick Rose nicht völlig unbrauchbar. In Pick’n’Roll-Situationen, die er als Ballhandler abschließt, gehört er ligaweit insgesamt zu den leicht überdurchschnittlichen Spielern und kommt immerhin noch unter die Top 40. Dass man genau diesen PlayType auswählt, ist von daher wichtig, weil Rose ihn unglaublich oft nutzt. Herauszustellen, dass er bei Cuts unterirdisch schlecht ist, ist bedeutungslos, weil nur 3,5% seiner Abschlüsse per Cut kamen. Wieder ist das Volumen und damit der Kontext entscheidend.

Leider ist das Pick’n’Roll an sich kein effizientes Play, wenn es der Ballhandler auch abschließt. Hier wäre es nämlich wichtiger, dass Rose die Offense ans Laufen bringt und aus dem P’n’R passt, was er nachweislich nicht tut.

Für jeden Spieler ist ein anderer Fokus entscheidend. Wichtig ist nur, sich einen Überblick zu verschaffen, was der Spieler am häufigsten am Feld macht – und ob er gut oder schlecht darin ist. Das können bei Ballhandlern Drives, Pässe, Off-the-Dribble-Würfe oder auch Off-Ball-Aktionen sein, wenn es der fit für das neue Team erfordert. Bei Bigs sind es Zahlen zum Rebounding (oder zum kontextuellen Rebounding: Robin Lopez reboundet nicht besonders gut, aber seine Teams erzielen gute Werte, weil er gut ausboxt), zur Range oder zur Rim Protection. Das ist absolut individuell, je nach neuem Team angepasst.

Kontextualisierung

All diese Analyse-Schritte erfordern also eine genaue Kontextualisierung von Zahlen, die einem vorliegen. In Zeiten der Statistikwelle kann man nicht mehr mit dem Bauchgefühl argumentieren, wenn man – zumindest offensiv – fast alles statistisch belegen kann. Schwierig ist weiterhin die richtige Ausdeutung des Zahlenmaterials. Rose ist einer der Spieler, die die meisten Drives verzeichnet und aus dem Drive auch 50% seiner Würfe trifft (die aber nur 7 Punkte pro Spiel ausmachen) – die wichtige Kennzahl, um Roses Probleme zu deuten, ist das Passen aus dem Drive heraus. Hieraus erkennt man, dass Rose zu wenig Offense für seine Mitspieler initiiert und zuvorderst auf seinen eigenen Abschluss fokussiert ist. Dies wäre gar nicht verkehrt, wenn es immer die richtige Entscheidung wäre und Rose somit effizient scoren würde.

Der Kontext eines Spielers erstreckt sich aber nicht nur auf seine Zahlen, die man einsehen kann, sondern auch, in welcher Situation der Spieler sich befindet: In welchem Umfeld kommen diese Zahlen zustande? Dies erfordert das Wissen, welchen Spielstil eine Franchise momentan pflegt oder welche Philosophie offensiv und defensiv vorgegeben wird.
Auch hier gilt wieder, dass man Beobachtungen richtig einordnen kann. Chicago hat bspw. als Team die drittbeste Dreierquote aufweisen können, aber die siebtwenigsten Versuche von dort genommen. Eine Quote alleine hilft nicht zu verstehen, wie das Offensivkonzept der Bulls aussah. Tatsächlich haben sie die fünftmeisten Mitteldistanzwürfe genommen, was bis auf Pau Gasol aber niemand beherrschte. Selbst Gasol kommt nur auf 0,91 Punkte pro Wurf, was in einer Liga, wo im Schnitt 1,064 Punkte pro Wurf erzielt werden, einfach zu wenig ist.

Die Bulls erzielten im Schnitt 1,05 Punkte pro Wurf. Als guter Spieler liegst du mit deinem individuellen Offensive Rating immer über diesem Wert. Dies zeichnet dich in der Offensive aus: Du hast den Ball in der Hand, trägst de facto die größte Last für die Offensive deines Teams und bist trotzdem noch effizienter als dein Team im Schnitt. Dies trifft im Regelfall auf alle Stars zu; auch auf Jimmy Butler in der abgelaufenen Saison. Rose ist um 0,09 Punkte pro Wurf schlechter. Das klingt vielleicht wenig (weshalb alle gängigen Statistikseiten den Wert auf 100 Possessions, ungefähr ein NBA-Spiel, hochrechnen), aber macht pro Spiel bei Rose ungefähr 1,5 Punkte aus, die er eigentlich aus seinen vorhanden Würfen mehr treffen müsste, um durchschnittlich zu sein. Butler liegt fast 20 Punkte im ORtg vor Rose. Er produziert aus 100 Ballbesitzen 116 Punkte, obwohl der Schnitt der Bulls nur bei 105 liegt. Butler macht dieses Team signifikant besser, Rose signifikant schlechter.

Diese Analyse müssen wir nun für jeden weiteren Spieler im Deal durchführen und zudem beurteilen, ob das vorhandene Skillset der neuen Franchise hilft. Bei Rose ist durch die eher problematischere letzte Saison und die schwer zu lokalisierenden Stärken eine konkrete Aussage nicht zu treffen. Spielt er weiter so wie in Chicago, passt er in kein NBA-Team.

Als Analyst kommt man nun zu dem Schluss, dass Rose im letzten Jahr toxisch für sein Team war – rein auf den basketballerischen Output auf dem Feld beschränkt. Betrachtet man nun auch die letzten Jahre von Rose bei den Bulls, käme man zu einem ähnlichen Ergebnis: Derrick Rose sollte man nicht verpflichten, um große Erfolge in den Playoffs feiern zu können. Warum machen dies trotzdem Teams, die weit mehr Analysemöglichkeiten besitzen als der Beobachter vor dem heimischen Computer?

Woran scheitern Analysen?

Wir haben bereits hunderte Analysen verfasst und einige waren fatal – zumeist zum Glück für uns und nicht für die negative Entwicklung einiger Spieler. Warum können unsere Analysen denn scheitern, wenn wir – wie oben dargelegt – genau darauf achten, welche Probleme ein Spieler hat und welche Schwierigkeiten wir für die Zukunft sehen?

Im Grunde gibt es zwei größere Faktoren. Der erste ist die unvorhersehbare Entwicklung eines Spielers. Als die San Antonio Spurs für Kawhi Leonard tradeten und George Hill abgaben, konnten wir den Trade aus vielen Perspektiven betrachten und Leonard als Spieler soweit evaluieren, dass er ein athletischer Freak ist, der gut gecoacht werden kann. Was wir niemals sehen konnten, war, dass ein Spieler, der am College den dort kürzeren Dreier nur zu 20 bzw. 29% traf, sofort ein unglaublicher Dreierschütze in der NBA wird. Das ist eine Entwicklung im Spiel eines Spielers, die passieren, aber die man statistisch – und in der Geschwindigkeit – nicht erahnen kann.

Wenn aber keine schlagartige Entwicklung eintritt, kann man bei Prognosen auch richtig liegen. Unsere beste Vorhersage in der abgelaufenen Saison bezog sich auf die Milwaukee Bucks, die von vielen Seiten als Playoffteam gehandelt wurden, aber empfindliche Schwächen in der Defensive und im Spacing aufwiesen. Milwaukee enttäuschte letztlich, weil eben keine unvorhergesehene Entwicklung im Shooting bei Jabari Parker, Giannis Antetokounmpo oder Michael-Carter-Williams eintrat. Alle drei Spieler waren vor der Saison schlechte Schützen oder verweigerten den Wurf komplett und mutierten nicht durch eine Offseason zum nächsten Kawhi Leonard.

Der zweite große Faktor ist der menschliche Einfluss bzw. das Umfeld des Spielers. Auf diesen haben wir in Deutschland keinen Zugriff. Hier muss nochmals Jared Wade zitiert werden, der erklärte, wie man ein Team aus der Ferne beurteilen sollte:

Jared Wade, NBA Columnist, FanSided, @Jared_Wade

…on covering a team from afar
In 2015, you don’t need to be local to cover an NBA team well. The key to being credible from afar is knowing what you can and cannot speak about authoritatively. By simply watching 82 games on television, pouring through statistics, and reading every quote you can find about, for example, a team’s offensive philosophy, you can become an expert about a team’s strengths and weaknesses. You can break down plays through video clips or do deep-dive analysis into what factors cause the team to lose. But you cannot get anything more than secondhand info about the locker room dynamic, team chemistry, and interpersonal issues that might be affecting performance. So just focus on the things you can know — how the team plays basketball — not sideshow speculation.

Bezug nehmend auf Rose kann kein Journalist in Deutschland sagen, wie es ihm in Chicago erging, ob er mit Spielern im Locker Room nicht zurecht kam oder mit Verantwortlichen in der Organisation. Wir haben keinerlei verlässliche Informationen. Analysen auf Grundlage einer Aussage eines Mitarbeiters, Freundes oder Mitspielers aufzubauen, ist naiv.
Wir erinnern uns 2008 an den Trade von Jason Kidd von den New Jersey Nets zu den Dallas Mavericks. Mark Cuban sagte einen Tag vorm Zustandekommen des Deals „step away from your crack dealer“ auf die Frage eines Reporters, ob man mit den Nets verhandle.

Es gibt keine verlässliche Quelle, die uns das Innenleben eines Menschen offenbaren kann, wahrscheinlich nicht einmal der Mensch selbst. Die unrühmliche Entscheidung DeAndre Jordans zu Beginn der letzten Free Agency zeigt, wie zerrissen ein Mensch sein kann, wenn er vor einer schwierigen Entscheidung steht. Er selbst wusste nicht, was richtig ist. Wie soll dies ein anderer Mensch überhaupt beurteilen können? Wer also meint, einen Menschen einschätzen und aufgrund dessen Voraussagen treffen zu können, weil er im Internet zwei Aussagen zu einem Spieler las, ist nicht seriös. Die Annahmen, die derjenige anstellt, können richtig sein, aber sie beruhen auf Informationen aus dritter, ungesicherter Hand. Das ist kein Fundament, auf dem man seine Argumentation aufbauen kann.

Jared Wade zeigt mit seinem Auszug eindrucksvoll, dass wir nie eine vollständig adäquate Analyse vorlegen können. Uns fehlt die menschliche Komponente. Wir können nicht beurteilen, ob die Situation in Philadelphia in den letzten Jahren toxisch war. Wer dies behauptet, ist Populist, aber absichern kann er diese Aussage mit Sicherheit nicht. Deshalb sollten wir bei einer Analyse immer nur die sportliche (oder finanzielle) Sicht betrachten: also Perspektiven, die wir selbst überprüfen und absichern können. Zu spekulieren, dass Rose in Chicago unzufrieden war, unter dem Druck der Heimatstadt litt oder es ihm zu kalt in Chicago war, führt zu keinem qualifizierten Ergebnis.

Das Fazit

Wenn wir ein Fazit ziehen, dann hat dies immer zwei Komponenten. Zum einen fassen wir zusammen, was wir gesichert wissen: Derrick Rose war in den vergangenen Jahren ein ineffizienter Spieler und hilft in dieser Verfassung keinem Team so richtig weiter. Diese Aussage ist absolut abgesichert. Wir können es durch unseren Eye Test und durch statistische Werkzeuge eindeutig belegen.

Zum anderen versuchen wir aber auch zu prognostizieren, welche Auswirkungen ein Deal hat. Wir können nur aufgrund des jetzigen Wissens versuchen einzuschätzen, was ein realistisches Szenario ist und darauf unsere Prognose aufbauen. Momentan würde die Tendenz dahin gehen, dass Rose keinesfalls der Spieler ist, den sich die New Yorker Fans erhoffen und die Chicago Bulls mit dem Trade Vieles richtig gemacht haben – vor allem würden wir zum jetzigen Zeitpunkt auch behaupten, dass Robin Lopez einem Team nicht so schadet wie Derrick Rose. Es kämen Teamkomponenten – und vor allem wirtschaftliche Faktoren – hinzu: Die Bulls verbessern ihre Verhandlungsbasis mit Pau Gasol und Joakim Noah, denn sie haben in Lopez bereits ihren Ersatz. Sie können Jimmy Butler als primären Ballhandler etablieren und dem Team eine Struktur geben.

New York muss viele Antworten auf das Duo Rose/Anthony geben – und wird Porzingis aufgrund der Balldominanz der beiden anderen Stars in seiner Entwicklung gehemmt? In New York entstehen – momentan – eher Fragezeichen. Das liegt auch daran, dass wir einfach nicht wissen, wie der Kader letztlich aussehen wird, denn die Free Agency steht an und wir analysieren fleißig, welcher Spieler am besten zu welchem Team passen würde.

So schauen wir auch auf die Frage, ob Derrick Rose zu den Knicks passt. Das realistische Szenario besagt, dass es – aufgrund der Werte aus den letzten Jahren – nicht passen könnte. Aber vielleicht schlagen die zwei Faktoren zu, die man von außen nie bewerten kann: Arbeitet Rose bspw. an seinem Sprungwurf und findet eine Balance zwischen Abschluss und Pass? Russell Westbrook hatte sich auch kontinuierlich verbessert. Oder hilft der Tapetenwechsel vielleicht? Wenn es wirklich Probleme in Chicago gab, bietet eine neue Umgebung motivational vielleicht genau die Anstöße, die Rose benötigt, um besser zu performen. Zu wünschen wäre es ihm. Für realistisch würden wir es momentan nicht erachten.

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