Was darf man 2016/17 von den Knickerbockers erwarten?
In einem recht umtriebigen NBA-Sommer gehörte die Franchise aus New York mit Sicherheit zu den aktiveren Teams – schließlich verpflichtete man nicht weniger als drei neue Starter, darunter einen Ex-MVP und einen Ex-Defensive-Player-of-the-Year. Einen neuen Coach gab es mit Jeff Hornacek obendrauf. Wo an der Diagnose kein Zweifel besteht, trifft dies umso mehr auf die Bewertung zu: Hat das Team mit den Neuzugängen wirklich einen Sprung nach vorne gemacht oder doch nur teure Verträge für alternde, verletzungsanfällige Stars ausgegeben? Darauf aufbauend stellt sich die Frage: Wer sind die New York Knicks 2016/17? Ein Team, das im letzten Jahr 32 Spiele gewann, in der Draft einen potentiellen Franchise Player zog und sich jetzt langsam, Schritt für Schritt, entwickelt? Oder ein „Superteam“, das sofort wieder um die Krone der Eastern Conference mitspielen kann? Von dieser Frage hängt ab, wie diese Anfangsphase der Saison der Knicks zu bewerten ist. Denn: Die Leistungen des Teams sind bisher durchwachsen.
8-9 lautet die Bilanz Ende November. Einigen starken Spielen stehen immer wieder ebenso peinliche Auftritte gegenüber. Wie zu erwarten war, entstehen die ersten Unruheherde im Umfeld der Franchise. Was darf man von den Knicks erwarten? Behalten wir diese Frage im Hinterkopf und kommen zum Schluss darauf zurück; zunächst einmal eine nüchterne Betrachtung, wie die Knicks in dieser Saison Basketball spielen.
Die Neuzugänge
Die Analyse muss zwangsläufig bei den oben angesprochenen Neuzugängen beginnen: Derrick Rose, Courtney Lee und Joakim Noah. Auf ihren Impact berufen sich die kühnsten Optimisten, die in New York ein Top-Team sehen.
Beginnen wir mit etwas Positivem: bisher blieben alle drei gesund, einzig Noah verpasste einige Spiele aufgrund einer Krankheit – bei der Krankenakte und dem Alter der drei keine Selbstverständlichkeit. Besonders Derrick Rose überzeugt zudem zunächst im Eye-Test: Die Explosivität erinnert an alte Zeiten, seine Bewegungen wirken kraftvoll und rund. Das Problem dabei: Rose schafft es nicht, dies in effizienten Basketball umzumünzen. So beeindruckend sein Speed und seine Athletik sein mag, zeigt die noch junge Saison, dass er in dieser Phase seiner Karriere nicht einmal mehr ein durchschnittlicher NBA-Starter auf der Eins ist (Wir haben es vorausgesagt…). Sowohl bei den offensiven (Ortg: 101) als auch den defensiven (Drtg: 113) Effizienzwerten gehört er zu den schlechtesten Rotationsspielern der Knicks. Zeitweise blitzt sein Können zwar noch auf, insgesamt aber viel zu selten – gerade defensiv verteidigt er viel zu selten auf hohem Niveau. Zudem zeigt Rose große Probleme darin, das Team anzuführen: Er schießt viel (14,8 Würfe/Spiel) und trifft eher wenig (vor allem aus der Mitteldistanz), passt dafür aber nur sporadisch (5,0 Assists/Spiel). Leider spielt er noch immer mit dem Habitus eines Stars, nicht mit dem eines Zuarbeiters für Carmelo Anthony und Kristaps Porzingis.
Ist Besserung in Sicht? Schwer zu sagen. Natürlich sollte man Rose bei einem neuen Team und nach mehreren verletzungsgeplagten Saisons Zeit geben, seine Leistungen sind jedoch nicht auf athletische Beschränkungen oder spielerischen Rost zurückzuführen, sondern schlicht auf sein Skillset. Vorsichtige Skepsis ist angebracht… Rose ist nicht mehr der Spieler vergangener Jahre und wird es auch nicht mehr werden!
Ähnliches gilt für Courtney Lee und Joakim Noah. Lee spielt ohne große Überraschungen, trifft den Dreier (41,7% 3FG) und fügt sich ins Teamkonzept ein. Auch für ihn gilt aber, dass er nicht mehr der herausragende 3-and-D-Spieler vergangener Tage ist; seine Werte sind verbesserungswürdig (Ortg: 104, Drtg: 112). Noah ist offensiv als Scorer überhaupt kein Faktor mehr (4,0 FGA/Spiel), passt mit seinen Screens und Playmaking-Fähigkeiten (3,1 Assists in nur 22 Minuten/Spiel) aber gut ins Offensiv-Konzept; defensiv erweist sich er sich nach wie vor als klarer Plus-Verteidiger (Drtg: 105, Team-Bestwert), ist aber auch nicht mehr der dominante Defensiv-Center von einst.
Insgesamt muss man den Neuzugängen also ein gemischtes Zeugnis ausstellen, was sich – wenig überraschend – auch in schwankenden Leistungen des Teams ausdrückt.
Was gar nicht läuft
Zuallererst muss man hier die Team-Defensive nennen: Ein grusliger 26. Platz im Drtg ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Wenigsten hierbei sind die Knicks konstant und verteidigen nahezu alles schlecht, egal ob den Dreier (21), Abschlüsse am Korb (Platz 22) oder in Transition. Das Problem liegt hierbei am Perimeter. Mit Porzingis und Noah stehen zwei ordentliche Ringbeschützer in der Starting Five, das hilft aber nicht, wenn die Guards und Flügel in einem fort Penetration zulassen – zu häufig bleibt nur das Foul als letzter Ausweg. Rose und Lee verteidigen beide nicht konstant auf hohem Niveau, auch Carmelo Anthony hat sich in dieser Saison defensiv noch nicht mit Ruhm bekleckert.
Besonders frustrierend: Die Probleme scheinen ein Stück weit Einstellungssache zu sein. Häufig lassen gerade die Starter zu Beginn einer Partie jegliche Intensität vermissen – mehrfach schon blieb es an den Bankspielern hängen, die Knicks über Hustle und starke Defense zurück ins Spiel zu bringen. Infolgedessen brachten dann auch die Starter wieder defensive Intensität aufs Parkett. Teilweise drängt sich das Gefühl auf, die Starter wollen ausschließlich über Talent, nicht über harte Arbeit zum Erfolg kommen…
Das Verhältnis zwischen Startern und Bank ist daher ein weiteres Problemfeld. Die Starting-Five Rose-Lee-Anthony-Porzingis-Noah verfügt über individuelle Qualität im Überfluss, spielt aber oft nicht komplett fokussiert. Die Bank ist das komplette Gegenteil: Spieler wie Kyle O’Quinn, Willy Hernangomez, Justin Holiday, Maurice N‘dour oder Mindaugas Kuzminkas sind allesamt ehrliche Arbeiter, der Talentlevel ist jedoch nicht annähernd so hoch wie der der Starting Five.
Die Entwicklung des Kristaps Porzingis
Talent ist das richtige Stichwort, um zu den positiven Aspekten der Knicks-Saison überzuleiten. Ganz oben steht dabei der Saisonstart von Kristaps Porzingis. Der Sophomore hat sein Spiel über den Sommer auf ein neues Level gehoben, seine Werte schießen durch die Decke: fast sieben Punkte mehr erzielt er pro Spiel (20,9), bei deutlich besseren Wurf- (49,%) und Dreierquoten (40%); dazu schließt er häufiger am Korb und von jenseits der Dreierlinie ab, nimmt dafür weniger Mitteldistanzwürfe.
Das schlägt sich in einem elitären Offensivrating von 120 nieder. Seine Bewegungen sind für einen Spieler seiner Größe wahnsinnig geschmeidig, seine mentale Toughness beeindruckend. Spätestens jetzt dürfen sich Knicks-Fans entspannt zurücklehnen. Egal wie diese Saison verlaufen mag, mit einem Spieler dieser Güteklasse sieht die Zukunft einer Franchise rosig aus. Porzingis ist auf dem besten Weg zum Star und spätestens jetzt sollten die Knicks kurz-, mittel- und langfristig sein Team sein.
Und Porzingis ist nicht der einzige talentierte Spieler der Knicks. Eine schlichte, aber doch zutreffende Wahrheit in der NBA lautet: Talent gewinnt Spiele! Und davon haben die Knicks eben doch mehr als genug. Neben Porzingis spielt Carmelo Anthony offensiv seinen Part (23,0 Punkte/Spiel, Ortg: 110), Brandon Jennings orchestriert die Bankspieler (8,4 Assists/36 Minuten), Spieler wie Rose, Lee oder Noah haben trotz aller Leistungsschwankungen immer wieder ihre Momente. Zusammengenommen reicht das für eine überdurchschnittliche NBA-Offensive (Team-Ortg: 106,6, Platz 14) – auch wenn immer noch nur wenig mit einer modernen Spielweise gemein hat. Nach wie vor spielen die Knicks viel Isolation (10,4% der Abschlüsse, Platz 3 der Liga, 0,82 PPP), wenig Pick-and-Roll (14,2%, Platz 26) und schießen nur mittelmäßig viele Dreier (Platz 18 der Liga, trotz Platz 12 bei der Trefferquote). Verankert wird diese Spielweise vom offensiven Talent der Herren Anthony und Porzingis.
Hornaceks Aufgabe
Letztlich liegt es am Trainer, Jeff Hornacek, die verschiedenen Puzzle-Teile zusammenzufügen. Dabei geht der neue Coach durchaus kreativ zur Gange. Reine Bank-Lineups etwa wurden nach den ersten Spielen immer weniger, die Minuten der Stars mehr gestaggered. So steht mittlerweile beinahe durchgehend entweder Anthony oder Porzingis gemeinsam mit den Bankspielern auf dem Parkett. Das bringt gleich mehrere Vorteile: Beide bekommen in diesen Situationen mehr Würfe und die Bank erhält (neben Brandon Jennings) dringend benötigtes Shot- und Playmaking. Gerade Porzingis sollte diese Chancen nutzen, um sich an das Dasein als 1. Option im Angriff zu gewöhnen.
Diese Umstellung war allerdings bei weitem nicht die einzige, die Hornacek in den ersten Saisonwochen vornahm. 2-Point-Guard Lineups mit Jennings und Rose werden häufiger, zudem spielen die Knicks häufiger klein. Immer öfter beordert Hornacek Joakim Noah für Spieler wie Justin Holiday auf die Bank; Anthony und Porzingis rücken dann auf die beiden großen Positionen, wo sich beide extrem wohlfühlen und offensiv nur schwer aufzuhalten sind. Gerade Porzingis könnte perspektivisch in Vollzeit auf die Center-Position rücken und kann hier wichtige Erfahrungen sammeln.
Ebenso auffällig war zu Saisonbeginn das schnellere Spieltempo der Knicks: Wie in Phoenix versuchte Hornacek, eine schnellere Offensive zu etablieren, das Team fand sich in den ersten Saisonspielen im oberen NBA-Drittel bei der Pace wieder. Mittlerweile sind die Knicks in dieser Statistik im Mittelfeld der Liga, auf Platz 16, zu finden und das aus einem einfachen Grund: Die schnellere Pace hat nicht funktioniert! New York legt in der Transition-Offense durchweg miese Werte auf, etwa bei den Fastbreak-Punkten (9,8 Punkte/Spiel, Platz 27) oder den Abschlüssen in Transition (0,87 PPP, Platz 30); die eigene Transition-Defense dagegen ist stellenweise desaströs! Es spricht für Hornacek, dass er seinen Fehler eingesehen hat und das Team jetzt wieder deutlich konventioneller agieren lässt.
Generell muss man dem Coach eine solide bis positive Note für seine ersten Wochen bei den Knicks ausstellen. Er hat eine klare Philosophie (ist sich aber nicht zu schade, sie an das vorhandene Spielermaterial anzupassen) und probiert viel aus – dass noch nicht alles perfekt funktioniert, darf in dieser Situation nicht überraschen. Oder?
Bleibt das Umfeld ruhig?
Womit wir wieder bei der Eingangsfrage wären: wer sind die New York Knicks eigentlich? Sieht man sie als ein Team in der Entwicklung an, kann man den Saisonstart alles in allem gelassen betrachten: Der designierte Franchise-Player Porzingis liefert, der neue Coach muss sich noch zurechtfinden, die schwache Defense fällt unter die Kategorie „Wachstumsschwierigkeiten“ und dazu werden sogar noch regelmäßig Spiele gewonnen. Denkt man jedoch an ein Superteam, das mit namhaften Verstärkungen die Spitze der Conference angreifen will, dann werden verständlicherweise Fragen laut. Einiges spricht dafür, dass das Management der Franchise letztere Sichtweise bevorzugt (und, die Frage muss erlaubt sein, ist es in einem Markt wie New York überhaupt möglich, die erstere einzunehmen?).
Wirklich ruhig bleibt das Umfeld nicht. Immer wieder kommen Gerüchte auf, Präsident Phil Jackson fordere einen höheren Anteil an Triangle-Sets in der Offensive. Diese sind bisher fast völlig aus der Knicks-Offense verschwunden und das aus gutem Grund: Sie passen weder zur Philosophie des Coaches, noch zum Personal (Rose…)!
Dazu kommt eine verwirrende Personalie: Jackson ernannte kürzlich Kurt Rambis zum neuen Associate Head Coach mit Fokus auf die Verteidigung. Das mag aufgrund der löchrigen Knicks-Defensive prinzipiell nachvollziehbar sein, ruft aber dennoch Kopfschütteln hervor: Der Kurt Rambis, der das Team im letzten Jahr äußerst erfolglos trainiert hatte, wird nun dem neuen Head Coach Jeff Hornacek, der geholt wurde, um ihn zu ersetzen, fast gleichberechtigt an die Seite gestellt? Eine gelinde gesagt seltsame Situation, die mindestens für Verwirrung sorgt und einiges an Explosivität beinhaltet. Auch wenn wir letztlich nur spekulieren können: Es drängt sich der Eindruck auf, dass Jackson mit aller Macht einem seiner alten (Triangle-affinen) Schützlinge im Coaching Staff installieren möchte.
Man möchte den Entscheidern zu etwas mehr Gelassenheit raten: Die Knicks spielen wie erwartet um die Playoffs mit und schöpfen ihr Potential noch nicht einmal völlig aus. Das Fazit für die bisherige (und kommende) Knicks-Saison lautet daher: keep calm and trust in Porzingis!