Gedanken, Off-Court

Show me your passport!

Zur Mediensituation um deutsche NBA-Spieler

Zur Mediensituation um deutsche NBA-Spieler

Es hat doch geklappt! Nach einigen Jahren am College hatte er sich Chancen auf die NBA ausgerechnet, doch wurde am Ende doch nicht gedraftet. Der letzte Strohhalm hieß Summer League. Dort spielte er vor – und überzeugte Spiel um Spiel. Nach der Summer League ging das ungeduldige Warten los. ‘Will mich ein Team unter Vertrag nehmen?’ Nach Tagen der Ungewissheit dann die Erlösung: ein NBA-Team schlug zu! Herzlich Willkommen in der NBA, Phil Pressey!

eliasharrisDer geneigte deutschsprachige Basketballfan wird nun eventuell gestutzt haben. Nein, es geht hier nicht um das Signing von Elias Harris bei den Los Angeles Lakers. Schon zu Teilen, aber jedenfalls nicht direkt. Geschichten wie das Harris-Signing sind alltäglich in der NBA. Im letzten Jahr schafften es gleich acht Spieler, mindestens ein NBA-Spiel zu bestreiten, ohne gedraftet worden zu sein. Zu den bekanntesten sollten Alexey Shved (Minnesota Timberwolves), Kent Bazemore (Golden State Warriors) und Maalik Wayns (Philadelphia 76ers) gehören.

Welcher Fan kennt also nun Phil Pressey, den neuen ungedrafteten Point Guard der Boston Celtics? Vermutlich die wenigsten. Das Signing Presseys ist nun schon einige Tage her – welches deutsche Medium hat den Vollzug gemeldet? Keines. Warum nicht? Es wird ein Rookie als 13. oder 14. Mann eines NBA-Kaders verpflichtet. “Das interessiert kaum jemanden”, wäre wohl die passende Antwort darauf.
Nun, warum gerät Basketball-Deutschland dann in Verzückung, wenn Tim Ohlbrecht einen nichtgarantierten Vertrag bei den Houston Rockets unterschreibt? Warum werden dutzende Artikel zu Ohlbrechts Unterschrift, ersten Minuten, ersten Punkten geschrieben? “Weil er Deutscher ist”, wäre die wahrscheinlichste Antwort. Die Frage, die sich mir stellt, ist: „Ist das schon ein Qualitätsmerkmal?“

Ich gebe zu, die weitere Ausführung des Gedankens hat nur am Rande etwas mit Ohlbrecht oder Harris zu tun. Eigentlich auch nur am Rande etwas mit Basketball. Es geht eher um die grundsätzliche Frage, warum deutsche Medien bevorzugt über deutsche Spieler berichten – und warum in der Regel der deutsche Fan vorrangig News zu Deutschen konsumieren möchte.

„Do you even know me?“

Die Platitüden zur Bevorzugung von Neuigkeiten um deutsche Spieler sind zahlreich und vor allem unter der Rubrik „Wir sind stolz auf unsere deutschen Spieler“ zusammenzufassen.  Doch dabei sollte man vielleicht mal hinterfragen, was die Gemeinsamkeiten mit dem angehimmelten Sportler sind, die ein so starkes Band zwischen Fan und Spieler schnürt, dass sich freudige Reaktionen einstellen, wenn der deutsche Sportler etwas erreicht. Ausgenommen sind hier natürlich Familie, Freunde und Bekannte, die eine emotionale Verbindung mit dem Sportler eingegangen sind und sich so für ihren Sohn, ihren Freund, ihren Bekannten freuen, dass dieser ein Lebensziel erreicht hat. Dazu gibt es sicherlich auch noch eine Hand voll Fans, die ihren Spieler in  der (N/J)BBL intensiv gesehen haben und ein Fan des Skillsets des Spielers geworden sind, beispielsweise die Braunschweiger bei Dennis Schröder.
Aber für den überwältigenden Großteil der deutschen Basketballfans ist Dennis Schröder, ist Tim Ohlbrecht, ist Elias Harris ein ganz normaler Basketballspieler wie Phil Pressey – außer der Tatsache, dass in seinem Pass eine andere Nationalität angegeben ist als bei Pressey.

Hype, dem der Hype auch gebührt

Ansonsten sind die Unterschiede verschwindend gering. Pressey ist – wie Ohlbrecht und Harris – kein besonders tolles Projekt, worüber es sich zu berichten lohnen würde. Sein Skillset ist – gleich der der Deutschen – zu lückenhaft, um eine tragende Rolle in der NBA übernehmen zu können.
dirknowitzkiDie Frage, die sich mir stellt, ist recht simpel: Wieso wird durch ein Signing von Ohlbrecht ein Mediensturm entfacht, der abstruse Formen annimmt („Unsere neue Basketball-Rakete“ – Wird er unser neuer Dirk Nowitzki?), während die sportliche Klasse des Deutschen doch stark bestritten werden muss. Ohlbrechts Leistungen brauchen hier wohl nicht genannt werden, die Rockets hatten den Deutschen nur aufgrund des Vertrages überhaupt in den Kader aufgenommen. Für Elias Harris gilt dasselbe.
Letztlich ist die Intention der deutschen Medien recht leicht zu durchschauen. Hier geht es nicht um Patriotismus oder Nationalstolz. Einzig die Klickzahlen sind entscheidend – die werden mit einer reißerischen Schlagzeile erzielt. Weil viele Deutsche eben an deutschen News interessiert sind.
Stellvertretend ist die immerwährende Dallas-lastige Berichterstattung zu benennen, weil dort mit Dirk Nowitzki eben ein Deutscher spielt. Dieser hat sich seinen Hype allerdings erarbeitet und mit Leistung gezahlt, um diesen zu erhalten.

Du bist, was du bist: zuvorderst Mensch

Warum Deutsche vor allem an deutschen News so interessiert sind, konnte ich noch immer nicht ergründen. Menschen werden Fans von Sportlern, weil sie etwas Überragendes leisten oder diese menschlich so auf dem Boden geblieben sind, dass man ihnen Erfolg gönnt. Aber ersteres sind Ohlbrecht und Harris nicht, zweiteres können die allerwenigsten von uns beurteilen. Wieso muss also das Signing eines Deutschen den Tag der deutschen NBA-Fans dominieren, wenn es nicht mehr als eine Randnotiz in der restlichen Welt ist?
Vielleicht hat es etwas mit der Wahrnehmung des Einzelnen zu tun. Ich persönlich fühle mich nicht als Deutscher. Ich fühle mich als Mensch. Ich be- oder verurteile Menschen nicht aufgrund ihrer Nationaliät, sondern aufgrund ihrer Einstellung zum Leben oder ihres Erfolges in bestimmten Sportarten. Ich trenne zwischen sportlichen Leistungen und dem Charakter der Sportler. Ich kann nicht erkennen, dass die Nationalität einen Einfluss auf Leistung und Charakter nehmen kann, so weit hat uns die Entfaltung des Individuums glücklicherweise getrieben. Es gibt keine Generalverurteilung aufgrund der Nationalität – demzufolge sollte es auch keine Sonderbehandlung bei der Berichterstattung von Ereignissen geben, die eigentlich keine sind.

Ein 13.-14. Mann für das hintere Ende der Bank (spätestens, wenn Kobe Bryant wieder ganz fit ist) wurde gestern von den Los Angeles Lakers gesigned. Das ist ein Einzeiler im Zirkus NBA. Es wird ein 50-Zeiler, weil er Deutscher ist. Weil die Deutschen stolz auf ihre Sportlerhelden sind. Dabei kannst du nicht stolz sein auf den Zufall der Natur. Weil Harris zufälligerweise hier geboren wurde, weil Ohlbrecht hier das Licht der Welt erblickte. Weil du zufällig hier geboren wurdest, nicht in Österreich, der Schweiz, Belgien oder Dänemark. Du hast nichts dafür getan, ein Deutscher zu sein; du hattest keine aktive Wahl, ob du ein Deutscher sein möchtest oder nicht. Du bist es halt. Ohne Wertung. (Hoffentlich) Ohne größere Bedeutung für dich oder deine Mitmenschen. Die Welt wird von Menschen bewohnt, nicht vorrangig von Nationalitäten. Diese sind nur Konstrukte, Konventionen, auf die man sich geeinigt hat.

In dubio pro hominem

Tim Ohlbrechts Verbleib in der NBA ist eine Randnotiz. Elias Harris’ ebenfalls. Ein Borderline-NBA-Spieler unterschreibt einen NBA-Minimum-Vertrag; diese Meldung ist es, die postuliert werden sollte. Es sollte nicht im Hintergrund darum gehen, Klicks, Likes oder Retweets zu erzielen, indem man eine Nachricht aufbläst, die eigentlich gar keinen Platz hat, um sich auszudehnen, ohne zu zerplatzen. Es sollte auch kein Nationalbewusstsein dahinter stehen, keine überlegene Denke, dass eine Nation mehr wert wäre, beachtet zu werden, als andere. Dass ein Mensch mehr wert wäre als ein anderer, nur aufgrund einer Zeile in einem Reisepass.

Die Meldung, dass Elias Harris es in die NBA geschafft hat, ist keine größere als die über Phil Pressey. Machen wir sie auch nicht größer als sie sein sollte.

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