Brooklyn Nets, NBA, Playoffs 2014, Toronto Raptors

Kurzarmige Dinosaurier

Warum Paul Pierce den Raptors Kopfschmerzen bereitet

Warum Paul Pierce den Raptors Kopfschmerzen bereitet

Zum Serienstart der Toronto Raptors gegen die Brooklyn Nets wurde, unter anderem auch bei uns, die Besonderheit des Duells zwischen Paul Pierce als Power Forward mit Wurf und Amir Johnson hervorgehoben. Johnson ist im Umfeld der Zone ein hervorragender Help-Verteidiger und ankerte an der Seite des jungen Jonas Valanciunas die zehntbeste Defensive der Liga. Doch würde er die richtige Balance aus Zonenbewachung und der ungewohnten Rolle des Perimeterbewachers finden?

Nach drei Spielen scheint die Frage nach der Effektivität der Bewachung von Paul Pierce ungelöst, da sein Händchen in den ersten beiden Spielen kalt war. Dabei traf Pierce in den letzten zwei Spielen der Regular Season gegen die Kanadier zehn von vierzehn Dreier. In der Playoffserie traf er bisher nur drei seiner vierzehn Versuche. Dies lag weniger an der Defensive der Raptors als an Pierce, der hauptsächlich gute Würfe herausgespielt bekam. So schwer sich der Veteran offensiv bisher tat und die Nets das Reboundingduell verlieren, lassen sich dennoch einige positive Effekte für Prokhorovs Jungs erkennen, wenn er auf dem Feld steht. Laut seiner eigenen Punkteausbeute war er als Scoringoption bisher kein großer Faktor. Seine Präsenz auf der Vier im Match-Up mit Amir Johnson übt dennoch einen “Trickle-Down”-Effekt aus, der sich als Problem auf die gesamte Verteidigung der Raptors auswirkt.

Amir Johnson vs. Paul Pierce

Bereits der erste Spielzug der Serie attackierte das Mismatch, indem Joe Johnson seinen nicht verwandten Namensvetter in die Mitte zog, um Pierce einen freien Dreier zu generieren. Amir Johnson orientiert sich je nach Situation mal mehr, mal weniger an Aktionen, die Abseits des Balls um die Ballhandler Deron Williams, Shaun Livingston und Joe Johnson passieren. Deren Übersicht macht es Johnson schwer, zu starkes Ballwatching zu betreiben oder sich bei Aktionen, in denen Pierce als Screener eingesetzt wird, den Ballhandler zu bedrängen. Zuckt Amir einen Schritt zu weit Richtung Zone, bestrafen ihn die Nets durch freie Würfe für Pierce, auch wenn dieser bisher keinen Nutzen für den eigenen Statistikbogen ziehen konnte. Garnett und Plumlee warten nur darauf, dass Johnson die Augen von Pierce nimmt, um ihn per Backscreen aus dem Play zu nehmen. Für die Guards ist Pierce die erste Anspieloption, sollte Johnson durch Drive oder Roll-Man in die Mitte eingeschnürt werden.

Als wäre Pierce an der Dreierlinie nicht bereits ein Problem, kommt dazu, dass er den Ball auch nach einem Dribbling im Korb unterbringen kann. Für Johnson, der angeschlagen spielt, ist jeder harte Hedge gegen den Ballhandler ein Risiko. Die Ballhandler der Nets sind aufgrund ihrer Größe schwer zu “trappen” und können den Ball meist mit Leichtigkeit bei Pierce unterbringen, der ohne Johnson vor ihm wiederum leicht zum Korb vorstoßen kann. Pierce wählt in dieser Szene den eigenen Abschluss. Da ihm einer der gegnerischen Bigs auf den Fersen ist und der zweite ihn stellen muss, kann er ebenso gut den Ball auf den cuttenden Big – in diesem Fall der Bruder von Miles Plumlee – ablegen, zu dem ein deutlich kleinerer Flügel rotieren muss.

Patrick Patterson vs. Paul Pierce

Als zweite Option zur Verteidigung von Pierce wählte Coach Dwayne Casey in beiden Spielen den etwas mobileren Patrick Patterson, der in der Offensive als stretchender Big agieren kann. Im ersten Spiel verzichtete Casey in den entscheidenden Minuten sogar völlig auf Johnson, während er im zweiten Spiel in den entscheidenden beiden Possessions, die Pierce verwarf, Patterson mit Johnson im Frontcourt kombinierte. Patterson zeigt deutlich höhere Bereitschaft, Pierce einige Schritte zu geben, um anderweitig auszuhelfen oder gar riskante cross-court Hilfsaktionen aus der Weakside gegen Joe “Inside Beast” Johnson zu leisten. Patterson ist keine ideale Lösung und war bisher in besonderem Maße für Backscreen-Aktionen anfällig.

Insgesamt funktionierte Patterson jedoch nicht besser als Amir, was den Raptors besonders in Game 1 schmerzte. In den letzten drei Minuten besiegelte Pierce den Auswärtssieg der Nets mit einem Dreier und einem Baselinejumper im Seitwärtsflugs. Klar, die Würfe waren clutch, aber sie resultierten aus Backscreens, denen Patterson zum Opfer fiel, weil er zwei Schritte zu weit von Pierce verteidigte. Der Dreier, angesetzt durch ein mehrmals genutztes Killerplay der Nets, indem Williams aus einem Post-Up ISO in einen Pick and Roll zur Weakside flitzte und einen völlig freien Pierce fand, obwohl die Raptors die Weakside anstatt der Strongside zugestellt hatten, sowie der Dagger machte ein Backscreen Garnetts möglich. Auch im zweiten Spiel überraschte Garnett Patterson mit einem Screen und ermöglichte Pierce einen Dreier zur Führung mit 30 Sekunden zu spielen.

Fällt der Dreier nicht, hat Pierce immer noch sowohl gegen Johnson wie Patterson einen Schnelligkeitsvorteil und kann gegen Flügelspieler, die auf ihn switchen, aufposten. Beides nutzte er in den ersten beiden Spiele verhalten. In Spiel Drei kamen vier der neun Feldwürfe aus solchen Aktionen.

Des einen Johnson Leid ist des anderen Freud

Den Effekt, den Pierce auf die Defensive der Raptors hat, ist nicht bloß an seinen genommenen und getroffenen Würfe zu erkennen. Natürlich wird Amir Johnson aus seinem natürlichem Habitat herausgezogen und fehlt als Absicherung um den Ring, was Platz schafft. Pierces Mitspieler profitieren jedoch auch von der Unsicherheit in der Raptors D, die durch das Fehlen des wichtigsten Verteidigers in der Zone entsteht. Joe Johnson ist der größte Nutznießer. Johnson nahm in der Regular Season 36% seiner Würfe innerhalb der Zone, die bei 50% FG% eine sehr effiziente Zone für ihn ist. Die Sample Size ist noch klein, aber Johnson nahm in der Playoff-Serie 57% seiner Würfe in der Zone und traf 17 aus 25.

Johnson ist als starker Post-Up Scorer bekannt und hat die Übersicht und das Händchen, um Post-Ups in ihrer gefährlichsten Form anzuwenden – als Vehikel, um freie Würfe und Cutter zu finden, sobald die Defensive einen Spieler vernachlässigt, um Hilfe zu schicken. Mit Johnson im Post und meist 3-4 spacenden Spielern um ihn herum ist die Frage, ob man Hilfe schicken soll, eine gute. Die Raptors haben es bisher eher gemieden und wurden von Johnson in der Rolle als Scorer bestraft. Das Match-Up gegen John Salmons war für die Raptors verheerend, doch auch DeMar DeRozan und Landry Fields konnten Johnson nicht von guten Würfen abhalten. Auch weil mit Amir ein Hilfsverteidiger zum Großteil wegfällt und sich aufgrund des tollen Spacings der Nets (bei denen Mirza Teletovic auf der Vier ein ähnliches Problem wie Pierce darstellt) sich die Perimeterspieler der Raptors kaum trauen, ihn im Post-Up oder im Drive den Weg zu blockieren.
Auch gestern Nacht zerstörte Johnson die Raptors in der Zone und bekam aufgrund der ängstlichen Help einfache Würfe, egal ob er von DeMar DeRozan oder Landry Fields gedeckt wurde. Amir Johnson deckte lieber den Dreier, und auch bei Drives war das Zustellen der Zone bzw. aushelfen eher Alibiarbeit, wenn Pierce oder Teletovic auf dem Feld standen.

Nach drei Spielen sieht Johnsons Shotchart so aus:

Shotchart Joe Johnson gegen die Raptors nach drei Spielen

Shotchart Joe Johnson gegen die Raptors nach drei Spielen.

Rebounds & Fragen

So kurzarmig die Raptoren in der Defensive bisher gegen die Nets aufgrund deren Spacing waren, so erwartet stark sind sie am Brett. Vor allem offensiv, wo sie insgesamt 14 Rebounds mehr holten als die Nets. Jonas Valanciunas schnappte sich mehr als 50% der offensiven Fehlwürfe, die in Armlänge waren. Dabei ist auch er defensiv nicht ohne Tadel, was bei einem jungen Spieler in der ersten Playoffserie zu erwarten ist, vor allem, wenn der “helpfreudige” Frontcourtpartner ständig an den Perimeter gezogen wird. Bei vielen Drives von Johnson und den Ballhandlern sinkt er sehr tief ab, fast schon innerhalb der Restricted Area, anstatt mit seinem langen Körper ein Hindernis darzustellen und einfache Wurfversuche zu zersprengen.

Das Gerüst, auf dem die Hoffnungen der Raptors in dieser Serie bisher ruhen, ist eher ein wackeliges. Trotz einem kalten Paul Pierce und Deron Williams sowie einer Dominanz der Bretter halten sie bisher nur mit. Die Nets werden von ihrer Smallball-Strategie nicht abweichen, auch wenn die Reboundingzahlen weiterhin im Keller bleiben. Es wirkt in dieser Serie zu ihrem Vorteil und sie sind konkurrenzfähig, auch wenn Pierce und Williams ihre Offense nach zwei Spielen noch suchten und dabei in recht hohem Volumen viel Holz verschnitzten. Die Serie könnte für die Kanadier schnell ins Hässliche umschlagen, wenn Pierce anfängt, zu bomben. Eine Sieben-Spiele-Serie ist jedoch eine kleine Stichprobengröße und es ist genauso möglich, dass Pierce und Williams in den restlichen Spielen wieder kalt werden und die Raptors im Spiel bleiben.

Dennoch wären die Dinos gut beraten, defensiv aggressiver zu agieren, um die Mitte für Johnsons Drives und Post-Ups zuzuschweißen. Die Angst, defensive Rotationen zu verursachen und sich in den Weg von Ballhandlern zu stellen führte auch dazu, dass die Spielmacher Brooklyns kaum gefordert wurden. Die Nets sind mit dem Ball typischerweise undiszipliniert und befinden sich unter den turnoverreicheren Teams. Die Defensive der Raptors generiert in dieser Serie kaum Turnover, da sie am Ball nicht aggressiv genug ist. Fields tat sich gegen Johnson vielleicht noch am Besten, ist in einer limitierten Offensive jedoch ein Ausfall. Er gab Johnson genauso wie DeRozan und Salmons jedoch kaum Probleme und wenn die Raptors keine Hilfe im Sinne eines Eins-gegen-Eins Stoppers erwarten können, muss die Hilfe auf dem Feld kommen. Auf Aktionen mit Pierce in der Hauptrolle zu reagieren wird kaum die Lösung sein, da die Nets dies zu einfach bestrafen können und es risikant ist, gegen ihn als Spot-Up Gefahr zu zocken.

Die Nets spielen mit Shaun Livingston, Andrei Kirilenko und Alan Anderson einige Shooter, die recht streaky sind. Die Offensive von Brooklyn ist ausgeglichen und kann schlechte Rotationen mit freien Würfen bestrafen, doch Joe Johnsons Ausbeute sollte inzwischen Grund genug sein, diese Spieler viel stärker zu vernachlässigen und die Mitte auch für Joe zur No-Johnson-Area zu erklären, nachdem die Nets dies bereits für Amir taten.

  •  
  •  
  •  
  •  
  •  

Schreibe einen Kommentar