Wie wichtig sind Assists für eine gute Offensive?
Chris Paul ist der beste Point Guard der NBA. Viele Fans werden dieser Aussage zustimmen. Würden sie gefragt, welche Begründung sie dafür anführen könnten, würde eine überwältigende Mehrheit darauf hinweisen, dass Paul die Liga in Assists anführt und nicht zuletzt deshalb der beste Spielmacher der NBA sein muss. Stimmt dieses Argument denn eigentlich? Wie wichtig sind denn Assists, um eine gute Offensive zu spielen?
Um dieser Frage nachgehen zu können, muss man sich zunächst verdeutlichen, was wir alle bewusst oder unbewusst annehmen: Ein Spieler, der viele Assists spielt, macht seine Mitspieler besser, ist uneigennützig und verhilft seinem Team dazu, dass jeder Spieler zufrieden und demnach die Offensive rund läuft. Treffen sich in einem Team dann gleich mehrere uneigennützige Spieler, die Teambasketball par excellence spielen, ist das Team offensiv sehr effizient und erfolgreich.
Deswegen schätzen wir alle einen Spieler, der den Ball verteilt und damit Basketball zelebriert, der nichts mit dem statischen Isolations-Basketball zu tun hat, wo ein talentierter Spieler im 1-on-1 versucht zu punkten, während seine vier Mitspieler nur zusehen.
Platzt die Basketballromantik-Blase?
Im Gegensatz zu dieser Annahme stehen die Ergebnisse einer Analyse: Tom Ziller hatte im letzten April sehr überzeugend dargestellt, dass es nur eine ganz leichte Korrelation zwischen Assists und der tatsächlichen offensiven Effizienz gäbe. Ziller musste sich mit dem damaligen Zahlenmaterial begnügen, das zur Verfügung gestellt wurde. Ab dieser Saison gibt es nun die Möglichkeit in die StatVU-Daten zu blicken. Was Ziller noch nicht möglich war, ergibt sich nun: wir haben nun die Möglichkeit zu überprüfen, wie sich das Teamspiel tatsächlich zur effektiven Feldwurfquote (eFG%) verhält. Bisher konnten nur Aussagen dazu getroffen werden, wie Assists zur eFG% stehen, um zu sagen, ob mehr assistierte Würfe die Chance auf einen Treffer erhöhen.
Ausgeschlossen wurden jedoch die potentiellen Assists, die nicht entstanden, weil der Spieler den Wurf vergab. Mit den neuen Daten kann man nun alle Iso-Würfe von vorbereiteten Würfen trennen. Dazu wurden die Assist-Möglichkeiten, die sich ein Team pro Spiel erarbeitet, errechnet und normiert, indem sie der jeweiligen Team-Pace angepasst wurde. Heraus kommen die Assist-Möglichkeiten auf 100 Possessions.
Die Annahme, mit der die Daten betrachtet werden, ist wieder dieselbe wie bei Ziller: Wenn Assists dafür sorgen, dass eine höhere Feldquote erzielt wird, müssten die Teams, die die meisten potentiellen Assists spielen, die höchste eFG% haben, da sie öfter als andere Teams gute Würfe kreieren:
Um die Grafik einordnen zu können, sollte man wissen, dass für einen direkten Zusammenhang zwischen potentiellen Assists und Trefferquote eine Korrelation von 1,0 bestehen sollte. Der Korrelationseffizienz beträgt hier aber nur 0,01. 0 bedeutet, dass es keinen Zusammenhang zwischen den untersuchten Attributen gibt. Dies klingt nun natürlich zunächst sehr mathematisch, vereinfacht gesagt, bedeutet es: Wenn Assistmöglichkeiten für eine bessere Trefferquote sorgen, müssten sich die Teams auf einer gedanklichen Gerade wiederfinden. Miami mit der besten eFG% müsste ganz oben auf der Gerade sitzen, Charlotte mit der schlechtesten eFG% unten links am Ende der Linie. Die Gerade müsste linear sein, was bedeuten würde: mehr Assistmöglichkeiten bedeuten zwingend eine bessere eFG%.
Tatsächlich sehen wir aber eher eine willkürliche Wolke, wo zunächst kein Muster zu erkennen ist. Was bedeutet das nun? Dass die grafische Darstellung das wiedergibt, was der Korrelationskoeffizenz schon verriet: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Assists und Trefferquote. 0,01 bedeutet, dass es nicht mal im Ansatz einen Zusammenhang zwischen den beiden Attributen gibt. Assists (oder auch wie hier: Assistmöglichkeiten) führen also nicht zwangsläufig zu einer guten Trefferquote, allerdings lässt dies eben auch nicht den Schluss zu, dass man ohne Assists eine gute Trefferquote erzielt. Es gibt keinen Zusammenhang. Für die Betrachtung, wie wichtig Assists sind, bleibt hier als Zwischenfazit stehen, dass sie nicht zwangsläufig helfen, eine gute Wurfquote zu erzielen, aber es durchaus können.
Zur Verdeutlichung muss man sich nur die Extrembeispiele ansehen: Chicago spielt ligaweit die zweitmeisten Würfe heraus, denen ein potentieller Assist vorausging, trifft aber am zweitschlechtesten aus dem Feld. Die allgemeine Annahme würde jetzt sagen, dass die Bulls ein schlechtes Team sind und deswegen die ganzen guten Vorlagen nicht verwerten können. Das wäre eine Möglichkeit der Interpretation. Die Frage bleibt aber doch, wieso ein so unterdurchschnittliches Team wie die Bulls überhaupt so viele assistierte Würfe kreieren kann und wieso die anderen Teams hinter den Bulls zurückbleiben? So ein schlechtes Offensivteam dürfte doch gar nicht so viele Möglichkeiten eröffnen.
Auf der anderen Seite der Skala treffen die Houston Rockets am drittbesten aus dem Feld, aber spielen nur die zweitwenigsten assistierten Würfe heraus. Augenscheinlich funktioniert dies aber, weil die Offense der Rockets elitär ist, obwohl man keinen lupenreinen Point Guard im Kader hat. Der beste reine Point Guard mit Jeremy Lin kommt nur von der Bank – auch weil er für eine gute Offensive nicht nötig ist. James Harden als primärer Ballhandler verteilt nur 11 potentielle Assists. Zum Vergleich: Chris Paul kommt auf 21,2 pro Spiel.
Die bisherige Datenbasis besagt aber auch, dass man für jedes Beispiel ein Gegenbeispiel finden kann. Die Spurs spielen viele assistierte Würfe heraus und treffen diese gut, Cleveland ist weit unterdurchschnittlich beim Kreieren und verwandeln von assistierten Würfen. Als Fazit steht jedoch, dass es keinen Zusammenhang zwischen Assists und getroffenen Feldwürfen gibt.
Dabei sollte man auch bedenken, dass die eFG% für eine gute Offensive zwar sehr hilfreich, aber auch nicht alles ist. Es fehlen hierbei die Freiwürfe und Turnover, die ebenfalls Folge einer Vorlage oder eines Fehlpasses sein können. Genau deswegen kann man mit der eFG% auch nicht die Offensive eines Teams ablesen, sondern eben nur die getroffenen Würfe. Um also bewerten zu können, wie eine effiziente Offensive mit einer assistlastigen Offense zusammenhängt, benötigt man das Offensive Rating der Teams. Es ergibt sich ein nur leicht verändertes Bild:
Die Korrelation ist hier ein klein wenig größer (0,09), aber eben noch keinesfalls signifikant. Wieder findet man einige Extrembeispiele, die gegen alles sprechen, was die Voraussage annahm. Interessant ist zudem zu beobachten, wie unterschiedlich die Teams bei eFG% und ORtg abschneiden. Die eFG% kann einfach nicht komplett abbilden, wie effizient eine Offensive ist. Die Heat sind einsame Spitze bei der eFG%, stellen aber trotzdem nicht die beste Offensive. Zwischen den Warriors und Pistons ist bei der eFG% ein riesiger Abstand, beim ORtg rücken sie ganz nah zusammen. Fernab dieses Exkurses bleibt weiterhin festzuhalten, dass man auch für eine gute Offense nicht zwingend viele Assists benötigt. Was bedeutet das für unsere Beobachtungen fürs Spiel?
Re-Evaluierung der Bewertung eines Spielers mit vielen Assists
Von der – zum Teil romantischen – Vorstellung, dass viele Assists dafür sorgen, dass ein Team gleich besser wird und die Mitspieler effizienter scoren, sollte man sich trennen.
Vor allem die Fokussierung auf einen einzigen Spieler, der für die gesamte Offense eines Teams verantwortlich ist, und alleinig seine Mitspieler einsetzt, ist nicht zielführend. Chris Paul spielt bei den Clippers nicht mal die Hälfte aller potentiellen Assists, obwohl er den Ball sehr dominiert und die Clippers auch keinen klassischen zweiten Ballhandler haben, der sich dafür zuständig fühlt, seine Mitspieler primär einzusetzen. Jamal Crawford und Darren Collison haben eher das Scoring im Blick. Obwohl Paul also knapp 75% eines Spiels auf dem Feld steht, sorgt er „nur“ für 45% der Assistmöglichkeiten. Der Fokus sollte sich vielleicht doch eher auf die Leistung eines gesamten Teams richten. Wenn man dies tut, sieht man nämlich weder die Clippers noch die Spurs mit ihrem so hochgepriesenen Teambasketball ganz vorne, sondern … die Atlanta Hawks. Ein Team, das sich – bedingt durch die Verletzung Horfords – gerade einmal im Kampf um den Heimvorteil im Osten hält, aber dem kein Beobachter auch nur vage Finalchancen einräumen würde. Nach der eingangs getätigten Definition spielen aber diese Hawks den selbstlosesten Teambasketball und sollten als Paradebeispiel dafür gelten, wie man Basketball spielen sollte.
Problematisch wird es nur, wenn man sieht, dass die Hawks gerade ein mal eine leicht überdurchschnittliche Offensive spielen. Wie man es auch dreht und welche Beispiele man heranzieht, es gibt kein überzeugendes Argument, dass man viele Assists benötigt, um erfolgreich zu sein. Iso-Ball kann ebenfalls erfolgreich sein, wie Jahr um Jahr die Oklahoma City Thunder zeigen.
Playmaker sollen einem Team helfen

Foto: Keith Allison
Das durchwachsene Ergebnis von vielen Assists eines einzelnen Spielers sieht man auch in den bisherigen Top 5 der Saison. Paul und Rubio spielen in Teams, die eine richtig gute Offensive spielen, obwohl man Rubios tatsächlichen Output dafür zumindest kritisch hinterfragen müsste. Rubio leitet zwar das Spiel, nimmt aber nur jeden sechsten Wurf, wenn er auf dem Feld steht und scort ineffizient. Trotz seiner ganzen Assists kommt er individuell nur auf ein unterdurchschnittliches Offensive Rating. Die Aussage, dass Rubio nicht hauptverantwortlich für die gute Offense der Timberwolves ist, müsste man zumindest weiter durchdenken.
Steph Curry ist der Point Guard des Teams, das leicht überdurchschnittlich agiert, dagegen stehen mit Brandon Jennings und John Wall zwei Beispiele, wo beide Spieler zwar viele Assists spielen, aber die Teamoffensive unterdurchschnittlich ist.
Selbst auf dem höchsten Level gibt es wieder diese Streuung, die in den Grafiken auch dargestellt wurde. Ein einzelner Spieler kann einer Offense mit seinem exzelleten Auge helfen, aber muss es eben nicht. Die besten Gegenbeispiele finden sich in der Top 5 des letzten Jahres. Mit Chris Paul ist ein alter Bekannter darunter, dazu kommen mit Deron Williams ein effizienter Playmaker, der sein Team zur achtbesten Offensive führte, aber eben auch gleich drei Spieler, die trotz vieler Assists das Level ihrer Teams nicht über den Durchschnitt heben konnten.
Mit Greivis Vasquez steht hier sogar ein Spieler, der zwei Mal als Trademasse genutzt wurde, unter den ersten Fünf. Da beide Trades nicht die Blockbuster waren, wo Vasquez als Baustein genutzt wurde, lässt sich so langsam erahnen, dass viele Assists durchaus nicht gleichbedeutend mit gutem Point Guard sind. Interessanterweise war Vasquez mit einem weiteren Point Guard in dem ersten Trade involviert, der in den Top 5 steht, sogar All-Star wurde, aber keinesfalls dort gesehen werden sollte: Jrue Holiday. Der ehemalige Sixer spielte zwar 8 Assists pro Spiel, verhalf damit aber Philadelphia nur zur fünftschlechtesten Offense. Dies lag auch vorrangig daran, dass Holiday ein unterdurchschnittlich effizienter Spieler ist, der der Offense mehr schadete als er ihr half.
Dasselbe trifft auch auf Rajon Rondo zu, der momentan das unrühmlichste Beispiel dafür ist, wie nichtssagend hohe Assistzahlen sind. Im Artikel „Rely on Rondo?“ wurde ja bereits ausgiebig dargestellt, wieso Rondo trotz vieler Assists kein Franchise Player ist und wie er es in all den Jahren, mit drei sehr guten Optionen in Allen, Pierce und Garnett um sich herum, nicht vermochte, die Celtics zumindest überdurchschnittlich in der Offensive zu machen. Dies hatte viele Gründe, unter anderem das extreme Assistpadding, wo Rondo nicht auf das beste Play für sein Team achtet, sondern nur einen Assist spielen will, weshalb er sein gesamtes Scoring vernachlässigt und damit seinem Team schadet.
Auf der Gegenseite gibt es mit Chris Paul ein Beispiel, wo dieser ein sehr effizientes Offensivgame hat und dazu noch seine Mitspieler einsetzt, sodass Pauls Teams traditionell eine überdurchschnittliche Offensive spielen.
Fazit
Wir sollten uns von dem Gedanken lösen, dass ein Spieler mit vielen Assists automatisch seinem Team hilft oder seinen Mitspieler besser macht. Das kann – wie bei Chris Paul – der Fall sein, muss es – wie bei Rajon Rondo – aber eben nicht. Es gibt schlicht keinen Zusammenhang zwischen Assists und einer guten Offensive und genau deshalb sollte man nicht einen einzelnen Spieler, sondern immer zuerst den Kontext betrachten, in dem er spielt: Ist das Team wirklich effizient in der Offensive? Ist der Spieler selbst effizient in seinem Offensivspiel? Erst wenn diese beiden Fragen bejaht werden können, kann man mit etwas mehr Sicherheit sagen, dass der Spieler wohl auch durch sein Passspiel das Team bereichert. Wird eine der Fragen verneint, sollte man einen noch genaueren Blick auf den Playmaker werfen, über den man eine Aussage treffen will. Assists alleine verraten noch nichts über die Qualitäten des Playmakings im Kontext eines gesamten Teams.
Bei Chris Paul werden übrigens beide Fragen seit Jahren durchgehend bejaht. Aus diesem Grund ist er der beste Point Guard der Liga, nicht nur wegen seiner hohen Assistzahl.