Spalten die Statistiken die Fans in zwei Lager?
Seit dem Release der SportsVU-Daten auf nba.com im Jahre 2013 hat sich das Angebot auf der hauseigenen Webseite stetig vergrößert. Die NBA selbst setzt auf eine möglichst große, statistische Ausrichtung für die Fans, und bietet mit den Tracking Daten ungeahnte und kaum für möglich gehaltene Einblicke für jedermann. Doch ist dies überhaupt erwünscht?
Spätestens seit das Angebot auf der offiziellen Webseite der NBA angeboten wird, werden immer genauere Umrisse zweier Lager deutlich, die sich vermeintlich gegenüberstehen: die statsaffinen Fans und Fans, die der Neuentwicklung eher kritisch gegenüberstehen und das Emotionale und Künstlerische am Sport sehen und lieben.
Immer häufiger erscheinen Artikel, bei denen angeprangert wird, dass sie nur noch wilde Zahlenkolonnen beinhalten und nichts mehr mit dem Sport zu tun haben. Genau so gibt es Artikel, die dahingehend kommentiert werden, dass man keinerlei argumentative Basis für das Behauptete hat, da ein Eye-Test zwangsläufig scheitere und Zahlen angeführt werden, um zu begründen, dass die aufgestellte Behauptung falsch sei. Man begibt sich in Grabenkämpfe und beide Seiten wirken daraufhin, den Gegner zu diskreditieren. Eine Lösung dessen scheint nicht in Sicht zu sein, zu unterschiedlich ist das Verständnis von „richtigem“ Basketball, von Argumentationsketten oder emotional gefärbter Berichterstattung, letztlich: von Journalismus.
Vor 15 Jahren war die Welt noch in Ordnung: Auch wenn die ShaKobe-Lakers die NBA dominierten, war allen klar, dass Michael Jordan der beste Basketballer aller Zeiten war, seine Bulls das beste Team, das jemals spielte, und die 33,4 Punkte pro Spiel in den Playoffs unerreicht sein würden. Es gab einen Konsens in allen Fanlagern. Man konnte Jordan mögen oder hassen, aber die Anerkennung, dass er der Größte aller Zeiten war, war unstrittig. Es gab noch kein PER, keine advanced stats im Allgemeinen, keine Tracking-Daten und keine Shot-Chart-Visualisierungen durch Hexagone. Artikel zum Basketball sahen die Menschen im Vordergrund, die Erfolge errangen. Es waren Geschichte zu dem Menschen hinter dem Basketballer, private Einblicke, kurz: Es wurde ein Starkult geschürt wie bei einem Popstar.
Die Entwicklung der Berichterstattung
Das ist 15 Jahre später auch immer noch der Fall. Jede Entscheidung LeBron James‘ wird vor allem emotional und moralisch hinterfragt und abgewägt, jede Aussage Dwight Howards in der letzten Saison bei den Magic oder den Lakers wird versucht auszudeuten. Die Stars sind weiterhin Popstars, verkaufen Abermillionen an Merchandise-Artikeln und stehen symbolisch für die Liga. Auch die Berichterstattung in den Printmedien ist weiterhin dieselbe. Erzählt werden zu großen Teilen biografisch angehauchte Portraits, die mehr darstellen sollen als den Basketballer mit der Nummer 23. So funktioniert Journalismus weiterhin, der durch die finanzgeprägte Ausrichtung eine möglichst große Käuferschicht ansprechen soll und muss, um monetär überleben zu können.
Natürlich schleichen sich hier und da mal Boxen mit Statistiksammlungen ein, es werden Spielzüge betrachtet oder mal eine Shot-Chart abgebildet. Verkauft wird aufgrund dieser Informationen jedoch nichts, sodass in den traditionellen Medien kaum eine Änderung einsehbar ist.
Die Revolution beginnt – wie so oft heutzutage – im Internet. Dies hat vor allem zwei Gründe: Durch die flächendeckende Breitbandversorgung der Haushalte in den westlichen Ländern hat die NBA so viele Fans und Zuseher wie noch nie. Die Bereitstellung aller Spiele aller Teams, schaubar nach Belieben, ist einer der größten Schritte für die Fans überhaupt gewesen. Natürlich sind auch die Hardcore-Franchise-Fans in Europa nicht so nah am Team wie die Beatwriter, aber sie können jede Minute ihres Teams verfolgen – und haben damit sehr viel mehr von ihrer Franchise gesehen als ein Journalist, der sich mit der gesamten Liga befasst.
Durch die sehr viel weitere Verbreitung des Internets kommt es – zweitens – zu sehr viel mehr Fanblogs, die jedes Spiel ihres Teams akribisch beobachten und diese Beobachtungen mitteilen wollen. Schnell entstehen Netzwerke von Blogs, die für jedes Team eine Fülle von Informationen zur Verfügung stellen, die einzelne Redakteure eines traditionellen Mediums niemals alleine recherchieren könnten. Durch die Spezialisierung auf Teams steht vielmehr der Basketball als Teamsportart im Vordergrund, denn die Beobachtungen beschränken sich zumeist auf aktuelle Spiele, denn die Blogeinträge spiegeln das Internet wider: Sie sind schnell, aktuell und dadurch von kurzer Überlebensdauer. Wer im Internet veröffentlicht und nicht gerade die Headliner für große (Sport-)Portale schreibt, der ist im Regelfall Spezialist für ein bestimmtes Fachgebiet. So rücken Taktik, spielerische Elemente und Entwicklungen eines Spielers oder Teamaspekte in den Fokus der Beobachtungen.
Die größte Entwicklung bei vielen Blogs ist der veränderte Fokus auf die Berichterstattung. Wichtig sind nicht mehr Charakterzüge eines Menschen, der (zufällig) Basketball spielt, sondern das Talent eines Basketballers, die taktischen Elemente eines Coaches oder einer Defense oder die Wurfauswahl des Starspielers. Kurzum: Es geht in Blogs wirklich um Basketball und das Verstehen des Sports rückt immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Deshalb bilden sich auch Blogs, die nicht mehr nur eine Franchise beobachten – denn dieser Markt ist relativ schnell gedeckt -, sondern sich mit Trends in der NBA befassen. Es entstehen erste Analysen der Teamsportart Basketball. Bezeichnend für unsere Zeit ist doch, dass der von der großen Mehrheit der Fans als bester Basketball-Journalist bezeichnete Zach Lowe nicht im Printsektor zu finden ist, sondern seine ausschweifenden Analysen zur NBA online veröffentlicht.
Was hat dies nun alles mit Statistiken auf nba.com zu tun? Durch die große Popularität der NBA wurden immer mehr Spezialistenblogs gegründet, die sich vor allem mit der Evaluation des Sports an sich beschäftigten und – da sie meist Liebhaberprojekte waren, die aufgrund ihrer Ausrichtung niemals kommerziell vermarktbar wären – dabei fernab von großen emotionalen Geschichten eigentlich nur auf eine Frage abzielten: Wie spielt man erfolgreich Basketball?
Relativ schnell war allen Beteiligten klar, dass man dafür die gesamte NBA beobachten musste, um Aussagen dazu treffen zu können. Wie schon mehrfach berichtet, ist dies nicht möglich, da niemand 1290 Spiele pro Saison sehen kann – selbst wenn es theoretisch möglich wäre, könnte man bei der Fülle der Informationen niemals auf verlässliche Aussagen oder Trends kommen. Viele der Interessierten trafen sich auf dem mittlerweile legendären ABPR-Forum und suchten nach Lösungen für ihr Problem. Sie behalfen sich mit Statistiken, da sie nicht alle Spieler in allen Spielen studieren konnten. Genau hier beginnt der Streit der „Statnerds“ gegen die „true baller“.
Gänzlich anderer Fokus auf das Spiel
Dennoch muss man konstatieren, dass die Unvereinbarkeit des Zusammenseins nur vorgetäuscht ist. Tatsächlich gibt es nämlich Möglichkeiten der Co-Existenz, soweit man den Blickwinkel des jeweiligen Autoren bedenkt. Dazu sollte man sich vielleicht mal versinnbildlichen, wie die statsaffinen Fans überhaupt zum Basketball gekommen sind. Dies wird in der überwältigenden Mehrheit der Fälle durch ein Basketballspiel selbst gewesen sein. Niemand wird Fan einer Sportart, weil er das PER so toll findet oder Gleichungen per Bruteforce lösen möchte. Alle Autoren, die heutzutage auf Statistiken zurückgreifen, diese erklären und nutzen, sind oder waren alle AUCH Fans der NBA. Alle haben damit angefangen, dass sie spektakuläre Dunks gefeiert oder Highlightclips auf youtube angesehen haben. Alle wurden von der Eleganz und Brillanz dieses schnellen Spiels gefesselt. Niemand fand ohne Bezug zum Sport zum Basketball.
Deshalb sind wir auch alle eine Community. Wir haben andere Ansichten oder Meinungen, wir können sie mehr oder weniger gut argumentativ unterlegen – aber wir müssen das auch gar nicht, wenn wir den Blickwinkel beachten, mit dem auf das Produkt Basketball geschaut wird. Jeder Blogger oder Redakteur stand vor seinem ersten Artikel vor derselben Entscheidung wie Zach Lowe: Bleibe ich weiterhin Fan eines Teams, lasse ich meine emotionale Gefärbtheit Teil meines Artikels werden – oder versuche ich Basketball zu verstehen, die ganze Sportart analytischer, trockener, steriler zu sehen, um diese irgendwann zu entschlüsseln? Beide Vorgänge sind absolut legitim und Teil der Vielfalt, die wir anstreben. Zach Lowe hat sich dann irgendwann dafür entschieden, dass er ein Beobachter des Spiels werden und nicht mehr Fan der Boston Celtics sein will.
Besonders unrühmlich ist jedoch die Unterstellung, dass Statistikfans ja nur auf Zahlen schauen, obwohl es nicht von der Hand zu weisen ist, dass diese Fans sich erst durch intensives Beobachten des Spiels zu den Statistiken orientiert haben. Kein Fan entscheidet nach ein oder zwei Monaten, dass er sich mit Statistikmodellen beschäftigen muss, um Basketball zu verstehen. Er hat zunächst genug damit zu tun, alle Teams, alle Spieler kennen zu lernen und monatelang die NBA einfach zu verfolgen. Der Schritt dahin, dass man sich mit Statistiken beschäftigt, ist ein fortgeschrittener. In der heutigen Zeit hat der Fan bereits hunderte von Spielen gesehen, eher er diesen Schritt geht. Zudem ist die Arbeit eines Analytikers die eines Try-and-Error-Prinzips. Er selbst beobachtet in einem Spiel eine Auffälligkeit und überprüft diese dann. Dabei kommt es oft genug vor, dass der Eye-Test eben nicht reliabel ist und eine Analyse abgebrochen oder zumindest in eine neue Stoßrichtung gelenkt werden muss.
Problematisch wird es derweil nur, wenn beide Lager die Grenze zwischen Analyse und Berichterstattung nicht wahrnehmen oder diese bewusst überschreiten. Wenn Statistikfans versuchen, argumentativ gegen einen Lieblingsspieler vorzugehen, endet dies zumeist in einer Auseinandersetzung, weil der Fan des Spielers gar kein Interesse an einer Diskussion hat, da seine Kriterien fürs Fansein völlig andere sind als die analytische Herangehensweise des statsaffinen Fans. Genauso kontraproduktiv ist es, wenn jemand seinen Lieblingsspieler unter einem analytischen Artikel verteidigen will, weil es nicht in sein Weltbild passt, dass sich ein Spieler mit vielen Würfen viele Punkte erkauft. Ein gegenseitiges Verstehen des anderen wäre hier sehr viel hilfreicher, da die Unterscheidung zwischen Analyse und Fandasein recht schnell getroffen werden kann.
Das Spiel ändert sich nicht
Unbeachtet dessen sollten sich beide Lager vor Augen halten, dass sich eine Enthüllung von immer mehr Zahlenmaterial überhaupt nicht auf die NBA auswirkt. Zum einen haben die Teams bereits alle Statistiker eingestellt, die Daten aufbereiten und zudem schon auf weit mehr zugreifen als für den normalen Nutzer jemals sichtbar wird; zum anderen ist die NBA weiterhin die Highlight-Show, die sie sein soll. Wer von dem ganzen Statistikkram nichts mitbekommen möchte, schaltet den League Pass ein, genießt die Spiele und meidet eben Analysen, wenn er keinen Wert auf die Aufbereitung des Spiels legt. Genau so sollte eben auch die Arbeit der Analytiker honoriert werden, die auf der ewigen Jagd nach dem Schlüssel zum Verständnis des Spiels sind.
Die NBA ändert sich jedenfalls nicht radikaler oder schneller, nur weil es Datenmaterial gibt. Die bahnbrechendste Erkenntnis der letzten Jahre war es, dass drei Punkte mehr zählen als zwei. Dafür benötigt man keine Tracking Daten oder advanced stats-Modelle.
Dennoch sind Statistiken interessant, wenn man versucht, den Einfluss eines einzelnen Spielers auf das Spiel herauszufinden. Auch diese Analysen ändern jedoch nichts am Basketballspiel an und für sich. Kein Spieler stellt sein Spiel um, weil ein Journalist schreibt, dass er zu viele Mitteldistanzwürfe nimmt.
Geeint in der Liebe zum Spiel
Das Angebot der Berichterstattung und der Analyse zur NBA erfreut sich einer immer größeren Vielfalt. Statistiken werden benutzt, um Analysen zu unterfüttern und die gemachte Beobachtung zu verallgemeinern. Sie sind ein wichtiges Instrument, um Basketball als solches zu entschlüsseln, aber sie beeinflussen das Spiel selbst nicht. Wie die Autoren von statistikbasierten Artikeln sind die Statistiken selbst nur Beobachter des Spiels und geben wieder, was sie gesehen haben.
Das ist keinesfalls unvereinbar mit dem puren Genuss eines Basketballspiels. Jeder Statistikfan hat damit begonnen, das Spiel zu lieben und sich intensiver dafür zu interessieren. Dies eint dieses Lager mit der Gruppe, die sich nicht mit Statistiken beschäftigen möchte.
Nur weil sich das Fanlager in andere Richtungen entwickelt, also den Fokus eher auf Fantum oder Beobachtung legt, heißt das nicht, dass man sich diametral gegenübersteht. Man kann analytisch und nüchtern auf eine Sache schauen oder sich unterhalten lassen. Beides ist legitim.