Kann der Wurf aus der Mitteldistanz noch eine Waffe sein?
Der Midrange-Wurf – seit dem Aufstieg der Analytics und des „Daryl-Morey-Prinzips“ ist wohl kein Abschluss in der NBA verpönter. Dreier, Korbleger und Freiwürfe sollen es bitteschön sein. Dahinter steckt simple Mathematik: Der Dreier generiert bei nur unwesentlich sinkenden Quoten einen Extrapunkt, Drives geben die Möglichkeit, zusätzlich Freiwürfe zu ziehen. Ein Rechenbeispiel: ein 45%-iger Schütze aus der Mitteldistanz (etwa Chris Paul) erzielt mit diesem Wurf 0,9 PPP; auf denselben Wert pro Wurf kommt ein Spieler, der gerade einmal 30% von hinter der Dreierlinie schießt – ein weit unterdurchschnittlicher Wert. Gerade, wenn ihm ein oder mehrere Dribblings vorangehen, gilt der Mitteldistanz-Wurf daher als Inbegriff der Ineffizienz.
Die Miami Heat stehen bei den versuchten Mitteldistanzwürfen auf Rang 3 hinter den Los Angeles Clippers und den San Antonio Spurs. Die Playoffs verlaufen für das Team trotz des 1-2 Serien-Rückstands gegen die Toronto Raptors bisher recht zufriedenstellend; die hohe Zahl an Würfen aus der Mitteldistanz scheint bisher also nicht unbedingt schädlich – oder?
Grund genug, sich diesen Aspekt des Heat-Spiels einmal genauer anzuschauen. Warum nimmt Miami so viele vermeintlich ineffiziente Würfe? Liegt das an den Vorlieben der Spieler oder an taktischen Vorgaben? Und die wahrscheinlich wichtigste Frage: können die Heat mit dieser Spielweise Erfolg haben?
Die Zahlen
Schauen wir uns also noch einmal genauer die Midrange-Zahlen der Heat an. 23,5 Versuche reichen wie gesagt für Platz 2 in den Playoffs; die Quote (36,6%) gerade einmal für Rang 13. Etwas anders sieht es bei den Abschlüssen „In the Paint – non restricted area“ (nba.com) aus, also dem Bereich zwischen 3 und 10 ft: Würfe aus diesem Bereich werden üblicherweise in Form von Floatern, Hookshots, Turnaround-Jumpern oder Jumpern aus dem Dribbling abgefeuert. Hier schließt Miami von allen verbliebenen Teams mit Abstand am häufigsten ab und das auch mit einigem Erfolg: 45,3% Trefferquote reicht für den zweiten Platz hinter den Atlanta Hawks. Aus der klassischen „Floaterdistanz“ ist Miami also besonders effizient. Direkt am Ring hat Miami größere Probleme: trotz (oder wegen?) Hassan Whiteside ist Miami das Team mit den wenigsten Abschlüssen direkt am Ring.
Verglichen mit der Regular Season lassen sich einige Veränderungen bemerken: Miami belegte mit 22,6 Versuchen aus der Mitteldistanz den 12. Rang und schloss diese Würfe mit 40,5% Quote ab (Platz 12). Auf den ersten Blick kann man also feststellen, dass die Heat in den Playoffs häufiger aus der Mitteldistanz abschließen, allerdings deutlich schlechter treffen. Ein Faktor, der nicht außer Acht gelassen werden darf, ist Chris Bosh. Der Big Man gehört vom High-Post zu den sichersten Schützen der NBA; dass die Quote ohne ihn leidet, ist zu einem gewissen Teil verständlich. Dass die Heat aber trotzdem öfter aus der Mitteldistanz werfen, bleibt ein erstaunlicher Befund, der auch nicht mit der geringen Sample-Size erklärt werden kann.
Die Akteure
Zunächst lohnt ein Blick darauf, warum der Mitteldistanz ein so ineffizienter Wurf ist: Er ist schlicht und ergreifend schwierig. Folgende Fähigkeiten sind eigentlich ein Muss, falls man den Ball aus der Mitteldistanz regelmäßig in den Korb befördern will. Zunächst wäre da die Fähigkeit, aus dem Dribbling zu werfen. Für Pick-and-Pop Spezialisten (Dirk Nowitzki, LaMarcus Aldridge, Serge Ibaka) mag das nicht zutreffen, Flügelspieler müssen sich ihre Midrange-Abschlüsse in der Regel aber selbst erarbeiten. Ballhandling und Moves im 1-on-1 gehören also zum grundlegen Rüstzeug. Ebenfalls wichtig ist eine gute Körperbeherrschung: Innerhalb der Dreierlinie ist die Deckung meist deutlich enger – Fadeaways sind oft der einzig mögliche Abschluss. Ebenso hilfreich sind Länge sowie ein gutes Post-Game für Abschlüsse aus der Floaterdistanz. Zu guter Letzt bleibt natürlich ein weiches Händchen. Insgesamt also ein Wurf, den nur wenige Spieler in der NBA wirklich beherrschen. Wenn überhaupt, dann die absoluten Superstars – bei Rollenspielern findet sich der Midrange-Wurf nur äußerst selten im Repertoire.
Bei den Heat sind hauptsächlich drei Spieler für die vielen Abschlüsse aus Mittel- und Floaterdistanz verantwortlich: Joe Johnson, Dwyane Wade und Goran Dragic. Zunächst einmal die Floater: Wade hat aus dieser Distanz mit Abstand die meisten Abschlüsse (5,5/Spiel), Johnson die fünftmeisten (3,6). Dragic scheitert knapp an den Top-15 (2,9). Auffällig ist, dass diese Spieler viele der oben beschriebenen Fertigkeiten mitbringen. Wade etwa ist auch im fortgeschrittenen Alter ein Meister darin, seinen Gegenspieler durch mehrere Fakes zu verladen und anschließend den Fadeaway anzubringen. Genau wie Johnson kann er zudem im Lowpost agieren – in den Playoffs bisher allerdings ohne den ganz großen Erfolg (0,70 PPP). Johnson hingegen ist eine Macht im Post: er nutzt seine Größen- und Massevorteile auf den Flügelpositionen bisher für 1,05 PPP – ein Spitzenwert. Nur Lebron James, Shaun Livingston und Evan Turner sind als Flügel mit mindestens 10 Possessions im Post bisher effizienter. Aus der Floaterdistanz schießt er so bisher bärenstarke 52,8%; ein deutlich besserer Wert als bei Wade (40%) oder Dragic (37,9%).
Letzterer erzielt seine Punkte aus der Midrange auf andere Weise. Ins Post-up geht er so gut wie nie, stattdessen attackiert er oft den Korb, bringt so die Defense durcheinander und schließt anschließend nach einem Backup-Dribbling per Stepback ab. Oft dribbelt er dabei in Steve-Nash-Manier einmal durch die komplette Zone. Auch aus dem Pick-and-Roll drückt er oft und gerne mit einem Stepback-Jumper ab. Weiterhin nimmt er auch in Transition den Midrange-Jumper aus dem Dribbling. Insgesamt schließt er pro Spiel 4,4 Mal aus der Mitteldistanz ab – bei einer solidenTrefferquote von 44,2%.
Noch deutlich häufiger drückt Dwyane Wade aus der Mitteldistanz ab: 7,2 Mal pro Spiel, Platz 6 in den Playoffs. Die Trefferquote von 37,2% ist dabei suboptimal. Bei Joe Johnson sieht es ähnlich aus: aus der Mitteldistanz ist er mit nur 34,5% Trefferquote deutlich ineffizienter als aus der Floaterdistanz und drückt darum auch nur 2,9 Mal pro Spiel von dort ab. Festzuhalten bleibt, dass alle drei Spieler eine Vorliebe für Abschlüsse aus der Mitteldistanz haben: Wade und Johnson mit Vorliebe etwas näher am Korb, Dragic per Stepback-Jumper aus dem Dribbling. Trotzdem ist mitnichten nur die Präferenz dieser drei Spieler für die hohe Quote an Midrange-Abschlüssen verantwortlich – Erik Spoelstra forciert diese teilweise sogar bewusst.
Taktische Vorgaben
Wie so oft, wenn es in diesen Playoffs um die Heat geht, muss der Blick zunächst zu Hassan Whiteside gehen. Der Big Man spielt bisher extrem starke Playoffs; die gegnerischen Scouts kommen daher oft zu einem simplen Schluss – die Zone muss dicht gemacht werden. Hohe Lob-Anspiele auf den abrollenden Whiteside darf es nicht geben. Eine einfache Hilfe reicht dazu nicht aus: Joe Johnson und Dwyane Wade sind beide Meister darin, mit einigen Hesitation-Dribblings tief in die Zone zu kommen. Dort können sie den Alley-oop auf Whiteside werfen oder selbst per Floater abschließen – besonders wenn der Big-Man-Verteidiger zu zögerlich agiert.
In diesem Beispiel ist die Verteidigung der Raptors nicht entschlossen genug: Johnson hat am Zonenrand die Möglichkeit, selber abzuschließen oder Whiteside per Lob-Ball zu bedienen.
Im Pick-and-Roll schickten daher sowohl die Charlotte Hornets als auch die Toronto Raptors oft einen Flügelverteidiger in die Zone, um den abrollenden Whiteside aufzuhalten. So sollte die Zone klarer abgedeckt werden.
Hier eine Szene aus der Raptors-Serie, in denen diese Taktik besonders deutlich wird:
In diesem Play wird Goran Dragic (immerhin 40% 3FG in den Playoffs) einfach komplett ungedeckt an der Dreierlinie gelassen, um das Pick-and-Roll mit Wade und Whiteside zu unterbinden. Dreier der Heat werden in Kauf genommen – immerhin waren diese das drittschlechteste Shooting-Team der Regular Season. Üblicherweise stürmt im Anschluss sofort ein Verteidiger auf den freien Schützen zu, um diesen ins Dribbling zu zwingen. Hinter diesem klafft dann oft eine Lücke, zudem ist die defensive Grundordnung durchbrochen – ein Setting wie gemalt für einen Midrange-Jumper oder Floater.
Ein großes Fragezeichen wirft die Knie-Verletzung von Hassan Whiteside auf: der Center musste Spiel 3 frühzeitig verlassen. Fällt er aus, ändern sich natürlich die Defensiv-Schamata der Gegner sowie die Offensiv-Sets der Heat. Da mit ihm der einzige dominante Zonenspieler der Heat auszufallen droht, sollte dies tendenziell in eher noch mehr Abschlüssen aus der Mitteldistanz resultieren. Ob diese qualitativ auf dem selben Niveau bleiben, darf bezweifelt werden; Heat-Fans sollten auf eine schnelle Gesundung des Centers hoffen.
Ein zweiter Grund für die vielen Midrange-Abschlüsse ist in der Defense der Heat zu finden. Die gleichen Prinzipien, die ihre Gegner gegen sie anwenden, nutzen auch die Heat. Die Zone wird mit Whiteside dicht gemacht, anschließend die Schützen aggressiv angelaufen. Das gegnerische Team benötigt also dringender denn je Playmaker, die aggressive Defense bestrafen und aus dem Dribbling kreieren können. Sowohl Charlotte als auch Toronto griffen daher häufig auf Lineups mit zwei Ballhandlern zurück (Walker/Lin sowie Lowry/Joseph); Jeremy Lin und Cory Joseph sind jedoch gefundenes Fressen für Post-ups der deutlich größeren Heat-Flügel.
Zu sehen ist das etwa auch in Play 3 unserer neuen Reihe.
Kann das erfolgreich sein?
Natürlich haben viele Heat-Spieler eine gewisse Affinität zum Mitteldistanz-Wurf. Auf der anderen Seite forciert Erik Spoelstra diese Würfe allerdings auch bewusst durch sein Defensiv- wie Offensivkonzept. Ist das eine vielversprechende Taktik in diesen Playoffs?
Steigen wir noch einmal in den Zahlensalat ein…
Midrange-Abschlüsse:
Wins: 27,8 FGA / 36% Quote
Losses: 19,2 FGA / 37,5% Quote
Auf den ersten Blick kein sonderlich positiver Befund; bei ihren Siegen schossen die Heat häufiger aus der Mitteldistanz, allerdings bei leicht schlechteren Quoten. Auffälliger werden die Unterschiede aber noch bei den Abschlüssen aus der Floaterdistanz.
In the Paint – non-restricted area:
Wins: 17,2 FGA / 48,8% Trefferquote
Losses: 17,2 FGA / 41,9% Trefferquote
Hier ist vor allem der qualitative Sprung der Abschlüsse offensichtlich: fast 7% mehr beträgt die Trefferquote aus diesem Bereich bei Siegen. Effiziente Abschlüsse aus dem Post oder per Floater sind für die Heat bisher also extrem wichtig. Ein ähnliches Bild zeigen die Versuche von Downtown:
Dreier:
Wins: 17,0 3FGA / 50,6% Trefferquote
Losses: 20,2 3FGA / 31,7% Trefferquote
bei Siegen drückt Miami deutlich seltener von draußen ab, trifft jedoch deutlich besser. Wenige, aber effiziente Dreier kombiniert mit hochprozentigen Abschlüssen aus der Floaterdistanz lautet bisher also das Erfolgsgeheimnis der Heat.
Fazit
Insgesamt bewegt sich die Offense der Heat auf einem ordentlichen Niveau: ein Off-Rtg von 103,6 reicht für Platz 6 in den Playoffs. Die eFG% (50,9%) ist ebenfalls auf Platz 6. In Kombination mit der starken Defense (Platz 3) sollte das eigentlich für einen ernstzunehmenden Run auf die Krone der Eastern Conference reichen – oder?
Auffällig an den Zahlen sind besonders die großen Unterschiede. Das kommt nicht von ungefähr: bei Abschlüssen aus der Mitteldistanz müssen extrem viele Faktoren zusammenspielen, der Wurf ist weniger berechenbar als der Catch-and-Shoot Dreier oder der Layup. Dementsprechend unzuverlässig ist er – gute Execution ist hierbei das A und O. Der Fokus auf Midrange-Abschlüsse bewirkt, dass die Heat extrem streaky spielen. Ausreißer nach oben waren in den Playoffs einige dabei: etwa zwei 60+ Punkte Halbzeiten in den ersten beiden Spielen gegen Charlotte oder die OT in Spiel 1 gegen die Raptors. Miami startete hier mit einem 8-0 Run – herausgespielt durch einen Floater, ein Post-up und zwei Mitteldistanzwürfe.
Ebenso vorhanden sind jedoch auch Ausreißer nach unten – etwa die drei verlorenen Spiele gegen die Charlotte Hornets. Teilweise wechselt die Heat-Offense innerhalb einzelner Viertel von bärenstark zu unglaublich schlecht. Die Zahlen verraten auch, woher das kommt: Miami belegt in den Playoffs Platz 14 bei den Freiwurfversuchen, ist 13. bei den Assists und letzter bei den Abschlüssen am Ring. Einfache Punkte, um mal einen Shooting-Slump zu beenden gibt es so kaum. Miami verlässt sich also darauf, dass…
a) die Execution des Teams funktioniert
und
b) die Stars in der Lage sind, konstant gute Würfe zu kreieren.
Hier einmal ein Beispiel das zeigt, wie groß die Verantwortung ist, die Spieler wie Dwyane Wade oder Joe Johnson tragen: Wades 46 Treffern aus der Mitteldistanz gingen genau 5 Assists voraus. Bei Joe Johnson war es genau 1 Assist bei 25 Treffern. Auf diesen Spieler liegt also eine ungeheure Last; bei einer längeren Ausfallzeit für Hassan Whiteside dürfte dieser eher noch zunehmen. Je länger die Saison dauert und je besser die gegnerischen Verteidigungen werden, desto schwerer wird es jedoch auch, konstant Würfe herauszuspielen. Hier fehlt der Heat-Offense ein Element, kontinuierlich für einfach Punkte zu sorgen – spätestens in möglichen Conference Finals gegen die Cleveland Cavaliers könnte das für Probleme sorgen…
Photo: Mark Runyon |BasketballSchedule.net