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Debatte: Wäre Derrick Rose ein verdienter MVP?

Die NBA-Saison neigt sich dem Ende und neben dem spannenden Rennen um die letzten Playoff-Plätze diskutieren die NBA-Medien nun verstärkt, wer MVP dieser Saison werden soll. Go-to-Guys hatte bereits Ende Dezember versucht, eine Lösung für das Problem des fehlenden Kandidaten zu finden, doch nun scheint sich immer mehr abzuzeichnen, dass Derrick Rose von den Chicago Bulls das Rennen machen soll. Hassan Mohamed und Dennis Spillmann debattieren heute zu der Frage: “Reichen Derrick Roses Leistungen aus, um MVP zu werden?”

Hassan Mohamed: Derrick Rose würde zum jetzigen Zeitpunkt berechtigterweise die Auszeichnung zum wertvollsten Spieler der diesjährigen NBA-Saison erhalten. Der Aufbauspieler aus Chicago ist der mit Abstand beste Spieler seiner Mannschaft und derzeit dabei, seine Bulls überraschenderweise zur besten Bilanz in der Eastern Conference vor den Boston Celtics, Miami Heat und Orlando Magic zu führen.

Dennis Spillmann: Ich denke auch, dass Derrick Rose letztlich als MVP der Saison ausgezeichnet wird. Hat er die Auszeichnung deswegen verdient? Aus meiner Sicht nicht. Ja, Derrick Rose ist der unbestritten beste Spieler der Chicago Bulls, dem Team mit der besten Bilanz im Osten. Aber ist er auch der wertvollste Spieler der NBA? Roses individueller Impact ist dafür nicht groß genug. Er führt in keiner relevanten Statistik die NBA an.

Hassan Mohamed: Es ist richtig, dass Rose bei den Statistiken – ob nun dem Player Efficiency Rating (PER) oder den Win Shares (WS) – gegenüber anderen Spielern, wie bspw. LeBron James, etwas abfällt. Beim PER rangiert er derzeit auf Position 11, bei den WS ist er Sechster – er muss sich zwar nicht verstecken, doch kann er hier keine absolute Spitzenposition einnehmen. Dennoch ist die Leistung, die Rose als Leader der Bulls aus dem ganzen Team herausholt, viel wichtiger. Wenn wir beim Gegenbeispiel James als den Führenden bei den individuellen Statistiken bleiben, muss man sagen, dass Rose aus einem weniger talentierten Team eine bessere Bilanz herausholt. Dies macht den Nachteil in den individuellen Statistiken problemlos wett.

Dennis Spillmann: Wie kann Derrick Rose denn dafür verantwortlich sein, dass die Chicago Bulls mehr Spiele als die Miami Heat gewinnen, wenn er weniger Einfluss auf das Spiel hat als LeBron James? Die Miami Heat haben mit James 20 Spiele verloren, die Bulls mit Rose 18. Wenn LeBron aber individuell mehr für sein Team getan hat als Rose für seines, folgt daraus dann nicht, dass LeBron wichtiger (oder im Sinne der Debatte wertvoller) für sein Team ist, da dieses selbst mit James’ größerem Einfluss die Niederlagen nicht verhindern konnte?

Hassan Mohamed: Nicht zwingend. Leadership lässt sich nicht im Ganzen in den individuellen Zahlen darstellen, sondern manchmal nur im Ergebnis des Teams. Ein guter Spieler kann das Spiel bzw. sein Team ins Rollen bringen, sodass es auch weiter eine gute Leistung bringt, wenn der Spieler keinen direkten Einfluss hat. Selbstverständlich ist eine exakte Zurechnung hierbei schwierig, auch kann man dem Punkt kritisch gegenüber stehen, dass man vom Ergebnis Rückschlüsse zieht. Zum besseren Verständnis dieses Arguments könnte man aber einen Blick auf die Trainer werfen. Diese erzielen für ihr Team niemals einen einzigen Punkt, spielen nie eine Vorlage oder helfen jemals einem Spieler in der Verteidigung aus. Nichtsdestotrotz wird niemand verneinen, dass Trainer einen gehörigen Einfluss auf das Team und die Leistung nehmen können. Die Bewertung erfolgt hierbei auch über die Erfolge bzw. errungenen Siege. Bei einem guten Spieler ist es ähnlich. Die höhere Anzahl an Siegen kann man dem Teamleader daher zu Gute halten, insbesondere wenn er von weniger Talent umgeben ist. Es wurde vor Beginn der Saison nicht grundlos vom Superteam aus South Beach gesprochen. Einem James ist es nicht gelungen, dieses Superteam zu einer angemessenen Bilanz in der regulären Saison zu führen. Daher kann man daran zweifeln, ob er insgesamt wirklich eine bessere Saison als Rose spielt.

Dennis Spillmann: Der Schluss, dass James Schuld daran ist, dass das Team verliert, Rose aber (bei weniger Impact) das Team zu Siegen trägt, ist einfach nicht zulässig und hat eine verquere Logik. Selbst wenn Rose einen mystischen (da nicht zu bestimmenden) Einfluss auf das Team haben sollte, wer sagt, dass James diesen nicht ebenfalls besitzt?
Die Erwartungshaltung war jedoch – wie du völlig richtig gesagt hast – eine andere vor der Saison, und ist eines der Argumente für Derrick Rose. Ich verstehe auch, dass man die Überraschung mag und sie favorisiert. Das passiert oft, aber deswegen muss es noch lange nicht richtig sein. Derrick Rose gewinnt im Schnitt sicherlich nicht mehr Spiele für sein Team als LeBron. Trotzdem haben die Bulls mehr Spiele gewonnen als die Heat. Woran liegt es also, wenn James seinem Team mehr hilft als Rose? Nicht an nicht zu messenden mentalen Einflüssen Roses, sondern an den Mitspielern. Die Bulls sind als Team einfach besser bzw. homogener besetzt.

Hassan Mohamed: Ich finde es verwegen, von mystischen Einflüssen – mit der implizierten negativen Wertung – zu sprechen, wenn bestimmte Methoden und statistischen Modelle ihre Grenzen erreichen. Beim Basketball sind Menschen und nicht bloß Computer involviert. Bei den Trainern ist es gängige Praxis, den Einfluss – trotz der fehlenden mathematischen Exaktheit und Messbarkeit – auf ihre Teams zu bestimmen bzw. zu bewerten. Wieso sollte man es bei Teamleader also gänzlich ausblenden?
LeBron James sollen auf keinen Fall die Fähigkeiten eines Leaders abgesprochen werden. Er hat in den letzten beiden Jahren das Gegenteil bewiesen und mit den Cleveland Cavaliers Leistungen oberhalb der Talents/Potentials der Mannschaft abgerufen. Dieses Jahr fehlt dies trotz der besseren Mitspieler. Mit Dwyane Wade hat er einen Spieler an seiner Seite, der ihm fast ebenbürtig ist und für viele Stimmen zu den 2-3 besten Basketballern der NBA gehört. Mit Chris Bosh hat man einen dritten Spieler, der in den letzten Jahren nicht bloß mit seinen Fingern, sondern mit der Nase am Dasein eines Franchise Players gekratzt hat und in der Free Agency auch begehrter war als seine Konkurrenten Amare Stoudemire und Carlos Boozer. Die Bulls sind keineswegs schlecht besetzt – schlechter aber mit einer ziemlichen Sicherheit. Allein der Punkt, dass Boozer (den die Bulls im Sommer erst verpflichten als Bosh vom Markt war) und Joakim  Noah knapp 40% der Spiele verpassten, macht die Frage obsolet, ob nun James oder Rose dieses Jahr mehr Unterstützung hatte. Über den gesamten Sommer wurde über das Superteam gesprochen, ein Jeff van Gundy prophezeite – überspitzt oder nicht – sogar einen neuen Bilanzrekord, während die Bulls meist als maximal vierte Kraft im Osten betrachtet wurden. Und nun soll das alles plötzlich irrelevant sein, weil die Bulls eine bessere Bilanz vorweisen können?

Dennis Spillmann: Nein, das ist nicht irrelevant. Keiner kann abstreiten, dass die Bulls die positive Überraschung der Saison sind. Aber wir reden hier eben vom Team, nicht von Derrick Rose als individuellem Spieler. Demnach könnte ich ja auch sagen, dass es ein Spieler der San Antonio Spurs werden soll. Keiner hat erwartet, dass sie im Westen mit ziemlicher Sicherheit den ersten Platz belegen, keiner hat diese Konstanz erahnt. Wieso ist also kein Spur im Rennen? Weil diese Leistung als Mannschaftsleistung deklariert wird. Und das ist es bei jedem Team, das siegt. Nur suchen wir den Spieler, der für sein Team am wertvollsten ist. Bei den Heat fallen immer die Namen Wade und Bosh, danach kommt aber nichts mehr. Nicht, weil man fälschlicherweise einen Spieler übergeht, sondern weil der gesamte restliche Kader nicht homogen zusammengestellt ist und über keinerlei Klasse verfügt (die Difference Maker Udonis Haslem und Mike Miller waren – ebenso wie Boozer und Noah – verletzt). Die Heat haben ihren Starter in den ersten Saisonspielen auf PG einfach gecuttet. Wenn diese Saison eines gezeigt hat, dann, dass es nicht ausreicht, 3 sehr gute Spieler zu besitzen, um in der NBA bestehen zu können.
Wenn Rose also unter den Ausfällen seiner Mitspieler sein ganzes Team alleine tragen musste, wieso kann man das nicht an Statistiken ablesen? Rose erzielt ja nicht einmal mehr Punkte als James, obwohl mit Boozer der zweite Scorer für eine lange Zeit ausfiel. Wie ist das möglich, wo doch der Kader der Bulls schwächer sein sollte als der der Heat?

Hassan Mohamed: Bei den San Antonio Spurs dieses Jahr gibt es den Detroit-Pistons-Effekt – wer ragt in dem Team wirklich heraus? Die Frage ist schwierig zu beantworten und dies dürfte der Grund sein, weshalb kein Spurs-Spieler als Favorit auf den MVP-Titel gilt. Bei den Bulls sieht es anders aus.
Wie es scheint, gehen die Meinungen über die Stärke bzw. das Potential der Bulls und Heat auseinander. Die Verletzungen von Miller und Haslem würde ich aufgrund der Position in der jeweiligen Teamhierachie nicht gleichsetzen, aber die Meinung, dass die Bulls stärker besetzt sind als die Heat habe ich zu akzeptieren, auch wenn ich sie nicht teile.
Bei all den Debatten über den MVP darf nicht vergessen werden, dass es sich bei diesem Thema bloß um einen reinen Meinungsaustausch handelt. Die NBA hat die Kriteren für die Auszeichnung des Most Valuable Players nicht niedergeschrieben, sodass der würdige Gewinner der – nach dem ehemaligen NBA-Commissioner benannten – Maurice Podoloff Trophy im Auge des Betrachters liegt, sofern eine schlüssige Argumentation vorhanden ist. Eure dürft Ihr auch gerne hier bei Go-to-Guys kundtun.

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