Warum die Atlanta Hawks solche Probleme haben
Die Atlanta Hawks spielen einen wunderschönen, teamdienlichen Basketball, der die Basketballromantiker von uns dahinschmelzen lässt, weil er an die Passstafetten der San Antonio Spurs oder vieler europäischer Vereine erinnert. Dennoch liegen die Hawks nach dem ersten Spiel in der Serie mit 0-1 zurück und haben somit direkt den Heimvorteil abgegeben. Auch gegen Brooklyn sah man wackliger aus als die Experten dies vor der Serie gedacht haben. Scheitert der Teambasketball – nach den Spurs – auch im Osten?
Denkt man an das Spiel der Hawks, sieht man eine verschworene, uneigennützige Gemeinschaft von Spielern, die die Last auf mehrere Schultern verteilen und dementsprechend teamdienlich agieren. Coach Budenholzer hat sein Team perfekt auf sein System eingestellt, wo auch schon im letzten Jahr darauf geachtet wurde, durch viel Passing freie Würfe zu kreieren, um effizient abschließen zu können. Die Hawks haben dies in diesem Jahr gemeistert und 2/3 ihrer Korberfolge geht ein Assist vor. Gemeinhin sieht das System der Hawks so aus, wie man sich Basketball offensiv wünscht: Es gibt viel Ball- und Playermovement; geradezu typisch sind die off-ball-screens durch kleinere Spieler, die damit ihre Mitspieler frei bekommen. Kyle Korver curlt wie eh und je um diese Screens herum, um offene Würfe serviert zu bekommen. Die Identität des Teams ist klar zu erkennen: Der Output des Teams ist größer als die Summe seiner Teile. DeMarre Carroll ist – nach Draymond Green – der nächste situational superstar, der klare Off-ball-Stärken hat und in diesem passlastigen Gebilde so richtig aufblüht.
Eigentlich kann man mit der Zusammenstellung des Teams zufrieden sein – wären da nicht bereits drei Niederlagen in der Postseason, die erst vier Siegen gegenüberstehen. Die Serie gegen Brooklyn war spannender als erwartet, gegen die Wizards rennt man nun erstmals einem Rückstand hinterher. Wieso setzt sich der Teambasketball nicht deutlicher durch?
Teambasketball vs. ISO-Ball
Zunächst muss attestiert werden, dass der als Krönung der Schöpfung gepriesene Teambasketball genauso ein Behilfskonstrukt wie Iso-Ball ist. Basketball ist ein Teamsport, keine Frage; aber durch die Auswahl von nur fünf Spielern pro Team auf dem Feld kommt jedem einzelnen Spieler eine viel größere Rolle zu als bei anderen Mannschaftssportarten. Der Einfluss auf das Spiel ist größer. Es hat seinen Grund, warum Teams wie Oklahoma oder Cleveland bzw. Miami mit LeBron James sich zu größeren Teilen auf Isolations“systeme“ verlassen: man nutzt das Potenzial der Stars. Die offensiven Superstars werden deswegen als solche bezeichnet, weil sie etwas können, was der Großteil der Liga nicht kann: effiziente plays für sich oder andere kreieren.
Teambasketball entsteht nicht zuvorderst, weil er die beste Form ist, ein Spiel zu gewinnen, sondern um das Fehlen eines dominanten Superstars auszugleichen. Dass Lücken kompensiert werden müssen, ist ja nichts Neues. Kein Team ist perfekt und muss die Schwächen in manchen Bereichen kaschieren. Die TPO war beispielsweise wichtig, um einen klassischen Aufbau zu ersetzen und den Spielaufbau auf mehrere Schultern zu verteilen. Zudem sollte auch klar sein, dass man als Superstar trotzdem ein intaktes System um sich herum benötigt und nicht nur straight 1-on-1-Basketball spielen kann. Es geht hier nicht darum, zwei unvereinbare Lager zu entdecken, die nur teamdienliche Systeme oder Isolationen spielen. Es gibt viele Mischformen. Iso-Situationen haben bspw. den Vorteil, dass sie durch das nichtexistente Passing nicht so turnoveranfällig sind wie komplexeres Ballmovement. Da der Turnover zum effizientesten play – dem Fastbreak – führt, will dieser natürlich verhindert werden. Ebenso ist eine statische Offense schädlich, wenn der Ballhandler keinen guten Wurf kreieren kann. Alle Systeme haben Vor- und Nachteile, aber einen einzigen richtigen Lösungsweg gibt es nicht. Dafür ist das Spiel auch zu komplex.
Wichtig ist es jedoch zu erkennen, dass ein Basketballspiel auf viele verschiedene Wege gewonnen werden kann und es keinen Königsweg gibt. Die Hawks haben – trotz der überzeugenden regular season – von Hause aus mehr Probleme als gedacht. In unseren Podcasts klang immer wieder an, was aus unserer Sicht fehlt, um wirklich das beste Team der NBA zu sein. In den Playoffs blitzt nun häufiger auf, wieso die Hawks nicht so souverän gegen Brooklyn und Washington auftreten wie erhofft.
Die Atlanta Hawks haben aus ihrer Schwäche eine Stärke gemacht: Niemand hatte vor oder auch während der Saison gesagt, dass die Hawks einen offensiven Superstar haben. Es gab Vorschläge, dass Horford oder Korver (durch sein Spacing)es sein könnten, aber – Stand jetzt – haben die Hawks keinen dominanten Spieler und gleichen dies vorbildlich durch ihr Zusammenspiel aus. Dass dies auch ihre fast einzige Option ist, fällt auf, wenn man sich einige Facetten im Spiel und die Kaderzusammenstellung der Hawks ansieht:
Fehlende Facette 1: Post-Ups
Die Hawks bilden das Schlusslicht, wenn es um die Nutzung von Post-Ups geht. Nur jeder 20. Angriff resultiert in diesem Play; das sind vier Angriffe in einem NBA-Spiel. Dazu landen sie in der Effizienz des Plays auch nur auf Rang 23. Mit Mike Scott, Paul Millsap und Al Horford haben die Hawks überhaupt nur drei Rotationsspieler, die in der regular season mehr als 10 mal aufgepostet haben. In der Serie gegen die Nets gab es gerade mal 21 Post-Ups, die mit 33% abgeschlossen wurden. Die Hawks haben demzufolge nicht das Spielermaterial, um sich dieser Facette zu bedienen.
Fehlende Facette 2: Drives der Flügel
Dies mag zunächst verwundern, weil man mit Jeff Teague und Dennis Schröder zwei pfeilschnelle Guards hat, die unentwegt versuchen, den Korb des Gegners zu attackieren. Tatsächlich ist die Quantität der Drives für das gesamte Team gesehen auch vollkommen in Ordnung. Es geht hier um die Verteilung im Kader: Teague und Schröder stehen aufgrund ihres nicht respektierten Distanzwurfes und den defensiven Problemen niemals gemeinsam auf dem Parkett. Kein einziger Flügel beherrscht auch nur ansatzweise das Dribbling auf einem Niveau, um den Korb angreifen zu können. Durch die Restriktionen der Aufbauspieler haben die Hawks eigentlich immer nur einen Spieler auf dem Feld, der penetrieren kann – ansatzweise übernimmt Paul Millsap diese Aufgabe noch, weil er als Big Schnelligkeitsvorteile hat. Generell droht aber so gut wie nie Gefahr von einem anderen Spieler als dem Ballhandler. Dies macht das Team ausrechenbar.
Fehlende Facette 3: Midrange-Game auf den kleinen Positionen
Die Hawks haben über 42% ihrer Midrange-Würfe in der regular season getroffen. Das ist ein richtig guter Wert, mit dem man sehr gut leben kann. Al Horford liefert in dieser Distanz weiterhin die wohl am meisten unterschätzte Leistung ab und trifft 48% bei gutem Volumen aus der Mitteldistanz. Problematisch ist eher, dass absolut kein Spieler auf den kleinen Positionen diesen Wurf beherrscht oder sucht. Die Statistiker unter uns freuen sich sicherlich über diesen Umstand, weil man einen ineffizienten Wurf vermeidet. Dennoch macht es die Offense durchschaubarer, wenn man aus der Mitteldistanz einzig Al Horford fürchten muss.
Fehlende Facette 4: Isolation-Spieler
Die Hawks wollen – per Definition – nicht in Isolation-Plays verfallen, sondern mit Teambasketball und viel Playermovement die Spiele für sich entscheiden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Hawks als Team dieselbe Anzahl an Possessions pro Spiel für Iso-Plays nutzen wie James Harden alleine. Durch das geringe Volumen hat man auch keinen validen Beweis dafür, dass ein Spieler der Hawks übernehmen kann, wenn ein Play mal nicht durchläuft. Dies muss Jeff Teague zumeist machen, aber auch er sieht sich nur in 2,6 Isos pro Spiel, die er unterdurchschnittlich abschließt. Nochmals: Die Hawks versuchen die Isolationen zu vermeiden, haben aber auch hier keinen Spieler, der diese Facette bedienen könnte.
Das Grundproblem: Fehlende Mehrdimensionalität
Ein offensiver Superstar zeichnet sich dadurch aus, dass er mit dem Ball in der Hand das Spiel seines Teams maßgeblich beeinflussen kann. Es könnte natürlich sein, dass er nur einen elitären Skill hat, in der Praxis sind es mehrere. Auf den Perimeter-Positionen ist dies das Ballhandling und speziell Passing gepaart mit Decision-Making, um überhaupt einen guten Wurf kreieren zu können. Dazu kommen je nach Spielertypus ein außergewöhnliches Talent für den Distanzwurf (wie bei Steph Curry), für Drives und Finishing am Korb (LeBron James), für ein tödliches Midrange-Game (Chris Paul) oder für das Forcieren von Kontakt (James Harden), um effizient agieren zu können.
Die Hawks können so einen Spieler nicht vorweisen und müssen sich damit behelfen, dass ihre Spieler vereinzelt Sachen überdurchschnittlich gut können, um doch so gut zu funktionieren, wie sie dies in der regular season taten. Kyle Korver hat ein ähnliches Gefühl für den Distanzwurf wie Steph Curry, Horford besitzt das Midrange-Game von Paul, Teague und Schröder versuchen sich im Drive.
Problematisch wird es, wenn Spieler eben nur ihre eindimensionale Rolle abspulen können und darüber hinaus nicht noch mehr können. Die Hawks sparen einige Facetten bewusst aus und haben andere zumindest mit einem Spieler besetzt. In den Playoffs, bei tage- und wochenlangem Scouting vor den Serien werden aber diese Einschränkungen jedem Scout auffallen. Die Hawks haben extreme Probleme, gleiche Skills mehrmals aufs Feld zu schicken. So kann eben nur ein Spieler penetrieren, ein anderer kann aus der Midrange agieren, keiner kann aufposten oder im 1-gegen-1 erfolgreich sein. Das Ballhandling hängt völlig in den Händen der Playmaker, ebenso das Dribbling. Erst durch das Duplizieren von Skills entsteht Unberechenbarkeit und dadurch Gefahr. Die Spurs, mit denen das System der Hawks immer verglichen wird, decken viele Facetten weit besser ab. Sie können mit dem Lineup Parker – Ginobili – Leonard gleich drei Perimeterspieler aufbieten, die sowohl den Spielaufbau übernehmen als auch penetrieren oder werfen können. Sie haben mit Duncan eine starke Postpräsenz; in die Isolation gehen sie noch weniger als die Hawks. Aber alle Spieler der Spurs sind mehrdimensional. Sie können auf viele verschiedene Arten dem Team helfen; die Hawks haben diese Möglichkeiten schlicht nicht.
So kommt man nicht umhin zu erkennen, dass das System, das die Hawks perfektioniert haben, klare Stärken, aber eben auch klare Schwächen aufweist – wie jedes System. Doch das der Hawks scheint in den Playoffs anfälliger für Fehler zu sein. Woran liegt dies?
Der Preis des Teambasketballs
Wie bereits angesprochen birgt das passintensive System der Hawks einige Risiken: Isolation-Plays sind beispielsweise nicht so turnoveranfällig. Das System der Hawks ist jedoch an weiteren Stellen anfällig: Die Hawks passen nicht nur sehr oft, sondern müssen sich auch sehr viel mehr bewegen als in anderen Offensivsystemen. Das führt dazu, dass die Hawks nach den Spurs die meisten Wege auf dem Feld zurücklegen. Durch das vergleichsweise hohe Laufpensum kann es sein, dass die Hawks zum Ende einer Partie nicht mehr die nötige Konzentration haben, um ihre Plays so durchzulaufen, wie dies am Anfang des Spiels der Fall war. Scheinbar unerklärlich wirkte bisher der Einbruch in der zweiten Hälfte von Spiel 1.
Hinzu kommt, dass die Fehleranfälligkeit in einem System, das zwingend darauf setzt, dass alle fünf Spieler – wie an Fäden gezogen – funktionieren, durch die Eindimensionalität der Spieler größer wird, je mehr Vorbereitungszeit der Gegner hat. Dieser muss nämlich nur ein oder zwei Rädchen der ganzen Maschinerie attackieren, um größeren Schaden zu verursachen als bei Iso-lastigeren Systemen. Es ist ja nicht so, dass man nicht weiß, was passiert, wenn die Cavaliers James oder Irving isolieren – man kann es nur einfach nicht verteidigen. Dies macht die individuelle Klasse der beiden Cavaliers aus. Bei den Hawks hat Lionel Hollins in der ersten Runde schon gezeigt, wie sehr man die Hawks offensiv limitieren kann, wenn man die Ballhandler konsequent unter dem Screen verteidigt. Durch die Eindimensionalität und das daraus folgende Zusammenspiel der Hawks wird es auch für die weiteren Gegner mehr Möglichkeiten geben, die Kreise der Offense zu stören.
Fazit
Die Atlanta Hawks haben in dieser Saison sehr viel richtig gemacht. Budenholzer hat das einzig richtige System installiert, um so erfolgreich wie möglich zu sein. Man hat ganz bewusst einige Facetten komplett aus dem Repertoire verbannt, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: pass- und laufintensives Zusammenspiel, um auch individuell stärkere Teams bezwingen zu können.
Dennoch täuscht dies nicht über die individuellen Schwächen des Hawkskaders hinweg, der – bedingt durch die Eindimensionalität der Akteure – nur ein Spielsystem laufen kann und dem schlicht die Variabilität fehlt. Teams können sich immer nur nach dem vorhandenen Spielermaterial aufstellen und für sich entscheiden, auf welche Facetten man verzichten will. Man kann Post-Ups, Midrange-Würfe, Drives vom Flügel oder Isolationen streichen – wenn man aber auf alle verzichten muss, gibt es nur einen Weg, einen Gang, den man anbieten kann. Dies könnte für die Atlanta Hawks zu wenig sein, um den ganz großen Erfolg landen zu können – auch wenn dies natürlich ein Weiterkommen gegen die Washington Wizards keinesfalls ausschließt. Man hat nur einen Gang, aber dieser funktionierte zu großen Teilen der Saison.
Statistiken sind nba.com/stats & basketball-reference.com entnommen worden.
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